Zwei Grad wärmer

Erlösung gibt es keine: Das sehr kühle Pop-Album der Schwedin Fever Ray

Der Tagesspiegel, 26. März 2009

Wie eine Prozession, die durch den Wald schreitet, wälzt sich ein dunkles Bassbrummen vorwärts. „If I had a heart I could love you“, raunt eine Stimme, „If I had a voice I’d sing“. Hätte ich ein Herz, könnte ich dich lieben. Hätte ich eine Stimme, würde ich singen. Geistergesänge vereinen sich zum Ah-hah-hah einer Wikingerhymne. Über knapp vier Minuten hält das Stück „If I Had A Heart“ mit einem einzigen Melodieverlauf in fiebriger Erwartung. Erlösung gibt es keine.

Karin Dreijer Andersson, die weibliche Hälfte des Stockholmer Elektroduos The Knife, schafft auf ihrer ersten Soloplatte gleich zu Beginn die unbarmherzige Zudringlichkeit, die man auch von den kalt hämmernden Stücken ihres Hauptprojekts kennt.

The Knife, bekannt geworden durch José González’ Coverversion von „Heartbeats“, machten Pop mit den Mitteln der Biotechnik. In ihrer klinischen Echokammer hallten die gegensätzlichsten Elemente in pervertierter Form wider. Steel Drums und billige Dance-Synthies wurden ihrer Unschuld beraubt und in eine archaische Ästhetik des Unheimlichen integriert. Über allem erscholl Karin Dreijers überartikulierter Gesang wie der eines trotzigen Kindes. Von all den entrückten Künstlern aus Skandinavien, die die Elfenwald-Exotik befeuern, sind The Knife wohl am weitesten draußen.

Perfektionisten zeichnen sich in erster Linie durch das aus, was sie unterlassen. The Knife geben nur Konzerte, wenn es sein muss, und verschwinden dabei hinter Masken. Seit drei Jahren ist weder ein neues Album noch eine Tour in Aussicht. Nach Kollaborationen mit der schwedischen Popgöre Robyn und mit Deus schreibt Olof Dreijer derzeit an einer Oper über Darwins Evolutionstheorie, die im September am Königlichen Dänischen Theater Premiere hat. Karin Dreijer ist indes auf zwei neuen Veröffentlichungen zu hören: dem neuen Röyksopp-Album und auf ihrer bemerkenswerten Soloplatte „Fever Ray“.

Die Ideen kamen ihr, als die 33-Jährige zum zweiten Mal Mutter und mit der Verletzlichkeit von Kinderkörpern konfrontiert wurde. Tatsächlich wirkt das Album wie das Innehalten zwischen zwei Katastrophen. Radikal entschleunigt und zwei Grad wärmer als bei The Knife, zeigt sich in den Stücken Dreijers Talent für große Melodien. Fever Ray schafft die dunklen Negative zu Songs, die Phil Collins in den Achtzigern vergessen hat zu schreiben. „Keep The Streets Empty For Me“ etwa, ein hypnotisches Stück, das auf Synthie-Seifenblasen episch dem Horizont entgegenschreitet und in ein Panflötensolo mündet. Selbst Kitsch ist in Dreijers Werkstatt nur ein Bauteil.

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