Von der Schwierigkeit, sich ein Bild zu machen

Leinwand, öffne Dich: Ein Dokumentarfilm schaut Gerhard Richter bei der Arbeit zu

Welt am Sonntag, 04. September 2011

Gerhard Richter steht mit dem Rücken zur Wand, und sein Ausdruck wechselt vom Nachdenklichen ins Hilflose. "Es ist die Kamera."

"Was ist das Problem mit der Kamera?"

"Dass die mich beobachtet." Der Maler blickt unsicher, nestelt mit den Fingern der linken Hand.

Vorher sah man ihn immer wieder im Ansturm: den farbbeschmierten Rakel geschultert wie eine Waffe, auf die Leinwand zuschreitend, die Handkamera im Rücken. Er steuert mit dem Blau mitten hinein ins Gelb. Er zieht einen Balken Rot darüber, lenkt ihn plötzlich um neunzig Grad um. Er stemmt sich mit dem ganzen Körper gegen den Rakel wie ein Fuhrmann hinter einen festgefahrenen Wagen.

Oder, von vorne, den weiß bestrichenen Rakel schräg vor dem Gesicht, der Blick fast leidend, weil diese Farbe jetzt das Urteil vollstreckt über ein Bild, das gescheitert ist. Der Maler als pflichtschuldiger Souverän, Adorno zitierend: "Jedes Bild ist der Todfeind des anderen."

Und plötzlich gibt es kein Weiterkommen. Gerhard Richter begreift, dass er jetzt selbst ein Bild ist, und das nimmt ihm die Luft.

Richter sah früh das Problematische und Abgeschmackte in der Mystifikation des Künstlers. Anders als Markus Lüpertz oder Georg Baselitz hat der nach wie vor begehrteste deutsche Maler öffentliche Repräsentationsaufgaben nach Kräften verweigert. Dass es jetzt einen Film gibt, der Gerhard Richter in intimen Momenten beim Ringen mit der Leinwand auf die Leinwand bringt, ist also so etwas wie eine Sensation.

"Das Reden über Malerei ist sinnlos", redet der junge Richter ganz ungeniert in einer SWF-Doku von 1965, noch im sächsischen Tonfall der verlassenen Heimat. "Oft wird der Maler gefragt: Was haben Sie sich dabei gedacht? Man kann sich aber nichts dabei denken, weil es eine andere Form des Denkens ist." Die Gegenüberstellung, die Regisseurin Corinna Belz in diesen Archivrückgriffen unternimmt, ist frappierend, denn in ihrem Film, für den sie den Maler von April bis September 2009 begleitete, sagt Richter kaum ein so klares, selbstsicheres Wort. Er wirkt verlegener als damals, unsicherer, jungenhafter. Ja, es scheint, als habe er vor lauter Malen das Reden verlernt.

Da hängen zwei abstrakte Gemälde nebeneinander, kaum getrocknet, und erwarten schwitzend den Schiedsspruch. Die Bilder werden zu Verdächtigen, Verteidigern, Zeugen, der Maler zum Richter. "Schwierig." Richter lacht, als amüsiere ihn die eigene Ratlosigkeit, und nuschelt: "Könnt'n bisschen besser sein." Zögernd, mit knappen Sätzen, weicht er auf einer Pressekonferenz den Fragen der Journalisten aus. Die Fotografen kämpfen ihrerseits um Bilder: "Noch einmal hier, bitte." - "Hier." Richter geht hinter den Rücken der Menge unter, taucht wieder auf.

Immer wieder fährt die Kamera die Miniaturen der Gemälde in den Modellen der Ausstellungsräume entlang, mit denen im Atelier die Auftritte geplant werden: die Kampfflugzeuge, Tante Marianne, Onkel Rudi, die Klopapierrolle, die Motorbootsausflügler, abgemalt von einer Kamerareklame. Richters Werk hat die Zurückhaltung nicht geschadet, im Gegenteil, die Leerstelle hat seine Strahlkraft nur vergrößert. Und wenn nun zu Gerhard Richters 80. Geburtstag "Gerhard Richter Painting" in die Kinos kommt, nach der Ausstellung in Hamburg und kurz vor der großen Werkschau der Londoner Tate im Oktober, spielt der Film als Teil einer Wertschöpfungskette der Auratisierung des Meisters zu, so diskret er sich ihm auch nähert.

Kein Tageslicht fällt in die Unterdruckkammer des Düsseldorfer Ateliers außer dem künstlichen der penibel kalibrierten Deckenlichter. In diesem sensiblen, auf sich selbst konzentrierten System ist das Filmteam ein Fremdkörper, ständig bedroht, aus Selbstschutz abgestoßen zu werden. Der Unterdruck ist auch ein verbaler. Was dem Besucher fremd und rätselhaft ist, ist den beiden Assistenten, die in einer zähen teigigen Farbmasse kneten, das Selbstverständlichste. Widerwillig finden sie knappe Erklärungen, als müsste eine anstrengende Übersetzungsleistung erbracht werden.

Nach und nach orientiert sich der Gast in dieser fremden Umgebung, gewöhnt sich das Auge ans Licht, das Ohr an die Stille. Belz' Film zeigt Malen nicht nur als Variation von Farbe, Fläche und Raum, sondern auch von Zeit. Intensität entsteht gerade in Pausen, im Zögern, Wundern und Achselzucken, das die gespannten Fragen des Gastes zurückwirft. Der Maler kann ja selbst oft nicht erklären, was geschieht, machen doch die Gewächse, die in diesem Labor gedeihen, was sie wollen. "Ich hatte sie ganz anders angelegt", sagt Richter einmal mit verschmitztem Lächeln, "schön bunt."

Seine atmosphärische Dichte verdankt der Film vor allem dem Sounddesign, der Inszenierung von Malerei als akustisches Ereignis: das dumpfe Aufsetzen des Rakels auf der Leinwand, das schmatzende Nachgeben der Farbe, das Aufplatschen auf dem Boden, das Rascheln des Hosenstoffs, das Quietschen der Schuhe. Das Sirren der Neonröhren im Museum Ludwig, das zur Metapher auf die Anspannung vor der Eröffnung gerät. Die Klavierstücke von György Kurtág und John Cage wären gar nicht nötig. Jedes Klecksen, jede Berührung von Pinsel und Leinwand, hat hier Bedeutung. Und das ferne Vogelzwitschern lässt ahnen, wie weit weg die Außenwelt ist.

Innen, im Studio, sind Ruhe und Weite, draußen sind Enge und Lärm. Die Kamera folgt Richter durch eine enge Gasse zu einem Zaunstück, das er porträtiert hat, immer knapp hinter der Schulter. Sie macht den Maler zum Gejagten. Und als solcher droht er auch immer wieder zu scheitern und mit ihm der ganze Film. "Im Moment seh ich das als aussichtslos an, dass das klappt mit dem Malen", sagt er am Tiefpunkt.

In der Eröffnungsszene stellte er noch selbst die Kamera auf, als Herr der Inszenierung, immer dem Ernst der Lage angemessen gekleidet im himmelblauen Hemd. Noch den Kontrollverlust organisiert er selbst. Dass Richter nach Jahrzehnten wieder ein Filmteam so nah an sich herangelassen hat, zeigt, dass er erwägt, die Schleusen etwas zu öffnen. Zögerlich macht sich der Künstler selbst zum Objekt der Bildproduktion. Manchmal braucht es den Anstoß von außen, um Dinge zu klären.

Corinna Belz fragt ihn nach den Eltern, die er 1961 in Zittau zurückließ. "Haben Sie sie später wiedergesehen?" Ein schnell hingeworfenes "Nein", dann Schweigen. Richter sortiert alte Familienfotos, man kennt die Motive teils aus dem Museum, als Ikonen der Nachkriegskunst, und man sieht Richter wieder als Richter, nun über die eigene Identitätskonstruktion, wie er erwägt, die Originale auszumisten. Die Trennungsfantasie als Grenzsituation, die Wesen und Wichtigkeit dieser Erinnerungsstücke neu spürbar macht, indem sie sie aufs Spiel setzt.

In Momenten wie diesen wirkt Richter ungeschützt, er ringt um Worte, versagt sie sich, scheint geöffnet, innere Stimmen niederkämpfend. Wer es heute als Künstler schaffen will, muss an alles denken, die Website, die Honorare, den Transport, den Aufbau, die Versicherung, er muss auf Eröffnungen gehen und reden, reden, reden. Richter hat sich von alldem befreit. Er steht nackt da. Er hat kein Alternativprogramm zu grenzenloser Offenheit außer dem Schweigen.

Hundert Minuten lang hält Belz in ihrem Film eine schwebende Spannung, in der in keinem Moment klar ist, welches Bild am Ende entsteht. Dafür zahlt sie einen Preis: intellektuellen Erkenntnisgewinn. Doch für den, sagt sie selbst, gibt es Bücher. Es ist dem unbestechlichen Kritiker Benjamin Buchloh überlassen, die inhaltlichen Fragen zu stellen, mit seinem einschüchternden Bariton besetzt er das Wohnzimmer und dringt erbarmungslos in den Freund ein wie ein die Selbstkontrolle verlierender Psychoanalytiker: "Können wir das genauer fassen?" Richter windet sich, er stammelt.

Belz erklärt nicht, sie interpretiert nicht. Aber sie zeigt die Personen und Institutionen, die den Künstler mit erfinden und tragen: seine New Yorker Galeristin Marian Goodman. Die Atelierleiterin. Museum-Ludwig-Direktor Kaspar König. Richters Frau. So gewährt der Film auch Einblicke in die Schaffung und Pflege einer Inszenierung, an der viele mitwirken, Teil einer Industrie, die auf den raren Rohstoff angewiesen ist, den nur einer liefern kann.

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