The Winner Takes It All?

Wie geht es dem Kunstmarkt? Wie kann man sich als Galerie im globalen Konkurrenzkampf behaupten? Und wo sind eigentlich die Sammler? Wir haben drei Protagonisten mit unterschiedlichen Perspektiven zum Gespräch geladen: "Das Überangebot ist erschreckend", sagt Max Hetzler, der seine erste Galerie 1973 in Stuttgart eröffnete. Er prägte die Achtziger in Köln wie die Neunziger in Berlin mit und begleitete die Karrieren von Martin Kippenberger, Albert Oehlen und Jeff Koons. Im Mai expandiert er nach Paris. Alexander Koch findet den Zwang zur Expansion bedenklich: "Wie kann man sich da noch selbstbestimmt behaupten?" Er gründete 2008 die Galerie KOW mit, die kritische Positionen wie Santiago Sierra, Alice Creischer oder Chto Delat? vertritt. Zugleich erprobt er die Kunstproduktion außerhalb des Marktes. Dirk Boll leitet seit 2004 das Europageschäft des Auktionshauses Christie's, schrieb Bücher wie "Kunst ist käuflich" und lehrt am Hamburger Institut für Kultur- und Medienmanagement. "Es ist viel neues Geld auf dem Kunstmarkt unterwegs", sagt er und glaubt dennoch an den mittelständischen Sammler. Und alle drei haben durchaus auch Fragen aneinander.

Welt am Sonntag, 27. April 2014

Der Kunstmarkt erscheint so gespalten wie nie. Während wenige Nachkriegs- und Gegenwartskünstler immer neue Auktionsrekorde brechen, stagniert das Mittelfeld. Herr Boll, hat eine Elite aus Künstlern, Galeristen und Sammlern ihren eigenen Markt kreiert, der immer unabhängiger vom Rest der Kunstwelt funktioniert?

Dirk Boll: Das gab es schon immer. Der Unterschied liegt in einem Geschmackswandel: Früher handelte dieses abgekoppelte Segment Alte Meister, Renaissancemaler oder Impressionisten. Seit den Achtzigern ist es zeitgenössische Kunst.

Aber es herrscht doch eine gespenstische Beschleunigung im Top-Segment.

Boll: Ja, insgesamt ist die Umsatzentwicklung von Kunstmarktunternehmen – und da sind die Auktionshäuser zunächst am leichtesten nachzuvollziehen – exorbitant. In den letzten zwanzig Jahren ist dieser Markt unglaublich gewachsen, und der dynamischste Teil der Entwicklung ist wahrscheinlich seit 2009 passiert.

Was treibt diese Entwicklung an?

Alexander Koch: Es ist viel Investmentkapital in das Kunstfeld geflossen.

Max Hetzler: Ich glaube nicht, dass diese Leute in Kunst investieren. Da geht es eher darum, sich einen "Balloon Dog" für fünfzig Millionen in den Garten oder ins eigene Museum zu stellen und zu sagen: Guck', ich hab' das gekauft!

Es besteht doch weithin Einigkeit, dass Kunst zunehmend als Anlage gehandelt wird.

Boll: Es ist schon viel Geld unterwegs, das nicht immer auf dem Kunstmarkt war. Dazu kommen Käuferkreise, die früher ihr Geld für kommende Generationen arbeiten ließen und jetzt, wo das Geld wegen der niedrigen Zinsen nicht mehr so arbeiten kann wie bisher, verführbarer geworden sind. Kunst ist für reiche Menschen Teil des Alltags geworden. Diese Nachfrage hat jenen Teil des Marktes sehr verändert.

Hetzler: Ich würde mich scheuen, einem Kunden zu sagen: Wenn du das kaufst, kannst du sicher sein, dass es im Wert steigt.

Koch: So will man nicht denken. Aber regelmäßig höre ich Sammler nebenbei sagen: "Billiger wird's schon nicht werden." Der Wertzuwachs ist einfach zur Grundlage des Geschehens geworden.

Zwischen 2007 und 2012 wurden auf dem Kunstmarkt laut dem "Mei Moses Fine Art Index" 13,8 Prozent Gewinne erzielt.

Hetzler: Es gibt ja zu allem Untersuchungen, aber ich habe noch keine gelesen, wie viel Geld Leute mit Kunst verloren haben. (Lachen)

Viele Galerien können sich nur über Erbschaften oder Sekundärhandel im Hintergrund finanzieren. 80 Prozent des Umsatzes deutscher Primärmarkt-Galerien werden von den stärksten 15 Prozent gemacht, wie das Berliner Institut für Strategieentwicklung (IFSE) in einer Studie ermittelte. Und alle zusammen machen weniger Umsatz als Larry Gagosian allein, der vierzehn Dependancen rund um den Globus unterhält. Herr Koch, ich nehme an, KOW gehört nicht zu den 15 Prozent. Wie nehmen Sie als junge Galerie das Klima wahr?

Koch: Wir erleben in allen Bereichen der Gesellschaft einen Zwang zur Expansion. Die Soziologie hat das in den letzten Jahren als "The Winner Takes It All"-Dynamik beschrieben. Künstler, Galerien und Sammler müssen die Schraube immer weiter nach oben drehen, um noch im Spiel zu bleiben. Das ist prinzipiell nichts Neues, aber die Dimensionen werden immer fantastischer.

Herr Hetzler, Sie gehören mit Ihrer Galerie zu den 15 Prozent. Vergangenen Dezember haben Sie 40. Galeriejubiläum gefeiert, unter anderem mit einer Schau der verstorbenen Joan Mitchell mit Gemälden bis zu fünf Millionen Dollar. Wie läuft das Geschäft?

Hetzler: Ganz gut. Wir machen in den letzten Jahren seit der Krise wieder gute Umsätze.

Wie gut?

Hetzler: Wenn man pro Mitarbeiter im Jahr eine Million umsetzt, schreibt man schwarze Zahlen und kann planen.

Wie viele Mitarbeiter haben Sie?

Hetzler: Wir sind eine kleine Galerie mit zehn Festangestellten plus freie Mitarbeiter, die sich um die Website oder um den Aufbau der Ausstellungen und Messen kümmern.

Damit stehen Sie knapp auf der Gewinnerseite eines Marktes, der im globalen Konkurrenzdruck auseinander driftet. Die Galerie Sprüth Magers plant neben ihren Dependancen in Berlin und London für 2015 eine dritte in Los Angeles. Sie eröffnen jetzt mit Ihrer Frau Samia Saouma eine Galerie im Pariser Viertel Marais. Zeigt sich da der allgemeine Druck, zu expandieren, um die eigene Stellung zu sichern?

Hetzler: Es war immer ein Traum von mir, etwas mit Samia in Paris zu machen. Wir haben sehr schöne Verbindungen nach Paris, wir verkaufen an Museen und haben mit den großen Sammlern zu tun. Es muss nicht Los Angeles sein und auch nicht London, dort könnten wir schon wegen der Kosten gar nicht konkurrieren.

Sie vertraten ab den Achtzigern Jeff Koons und waren an seinen ersten Erfolgen beteiligt. Findet er noch Zeit, bei Ihnen auszustellen?

Hetzler: Wir planen aktuell keine Ausstellung, aber haben ein sehr freundschaftliches Verhältnis. Ich kann im Atelier ein und aus gehen und hin und wieder eine Arbeit vermitteln, auch an deutsche Museen. Wir führen Koons weiter in unserer Künstlerliste. Aber ich kann die Produktion seiner Werke nicht bezahlen. Das überlassen wir Larry Gagosian oder David Zwirner.

Vor zwanzig Jahren waren Sie es, der mit Mühe nicht nur die Käufer, sondern überhaupt erst die Werkstatt für die ersten Skulpturen für Koons' "Celebration"-Serie auftat. Zu ihr gehört auch der Stahl-Pudel, der im November für 58,4 Millionen US-Dollar bei Christie's versteigert wurde. Ihr Weggefährte zählt zu den teuersten lebenden Künstlern, und sein Pudel ist "das" Symbol für Marktmacht. Ist das nicht bitter?

Hetzler: Natürlich würde ich gern eine Ausstellung mit Jeff machen. Aber ich bin deswegen nicht traurig. Er hat eine wunderschöne Karriere und den Erfolg, der ihm zusteht. Das strahlt auch auf die Galerie zurück.

Sie können sich diese Bescheidenheit vielleicht leisten. Bei knapper kalkulierenden Galerien kann das Unternehmen wackeln, wenn ein Künstler geht.

Hetzler: Wenn ein Künstler weg will, soll er gehen! Dann ist etwas zerbrochen, oder er sieht woanders mehr Möglichkeiten. Wir wollen ja, dass der Künstler Erfolg hat, dass er über sich und vielleicht auch über die Galerie hinauswächst. Er ist durch seine eigene Arbeit dort hingekommen.

Ihre Gelassenheit in Ehren, aber die Großwetterlage hat sich verändert: Durch das wachsende Gefälle unter Galerien wie Käuferschichten stehen Künstler heute viel öfter vor der Entscheidung zu wechseln, als das bei Ihnen in den Siebziger- oder Achtzigerjahren der Fall war. Macht man im Kunsthandel zu selten schriftliche Verträge?

Hetzler: Verträge nützen so wenig wie in der Fußballbundesliga. Große Fußballer werden abgeworben, große Künstler gehen ihren Weg.

Mit dem Unterschied, dass es im Kunstmarkt keine Ablösesummen gibt. Hergen Wöbken, Autor der IFSE-Studie, brachte das Konzept auch für den Kunsthandel ins Gespräch.

Hetzler: Oft bekommt der Künstler eine Ablösesumme, wenn ihn eine große Galerie abwirbt.

Aber Sie nicht.

Koch: Warum eigentlich nicht? Warum sollten wir nicht die Hälfte bekommen? Gerade jüngere Galerien unterstützen Künstler am Anfang ihrer Laufbahn sehr stark. Wenn dann die Galerie finanziell oder professionell nicht mit den wachsenden Anforderungen mithalten kann, trennt sich die Spreu vom Weizen. Man kann schon fragen, warum nur eine Seite profitiert, wenn nach einer erfolgreichen Partnerschaft Karriere und Preise einen Sprung machen.

Hetzler: Wir haben ja auch die Freiheit, zum Künstler zu sagen: Sorry, ich kann gerade nicht. Das ist Teil des Spiels. Sonst wären wir nicht Galeristen.

Was sagt Koons zu 58,4 Millionen US-Dollar?

Hetzler: Er ist erschüttert. Das macht ihm keinen Spaß.

Warum?

Hetzler: Weil es auf seine Kosten geht, er hat nichts davon. Es ist ja jetzt nicht jeder "Balloon Dog" fünfzig Millionen plus wert. Jedes Werk muss erst mal seinen Käufer finden.

Die neue Serie "Gazing Ball" wurde David Zwirner im letzten Jahr für Preise um eine Million US-Dollar regelrecht aus der Hand gerissen. Das wäre doch nicht denkbar, würden nicht Auktionen die Aufmerksamkeit für Koons' Werk schüren.

Hetzler: Ich sehe nicht, dass die Primärmarktpreise von Koons oder Christopher Wool sich an Auktionsergebnissen orientieren.

Boll: Ich bin mir da nicht so sicher. Aber die Gruppe von Leuten, die etwas für 30 oder 50 Millionen kaufen können, ist so unglaublich klein, dass es beinahe keinen Skaleneffekt gibt. Wenn aber ein Künstler bisher für 100.000 gehandelt wurde und mehrere Ergebnisse zwischen 500.000 und einer Million hat, dann wird der Auktionspreis zum Leitpreis.

Herr Koch, Sie haben KOW 2009 gegründet. In diesem Jahr nehmen Sie zum ersten Mal an der Kunstmesse Art Basel teil. Mit politischen Künstlern wie Santiago Sierra oder Barbara Hammer zeigen Sie Beiträge zu gesellschaftlichen Themen. Wie können Sie sich finanzieren?

Koch: Wir sind eine GmbH und finanzieren uns ausschließlich über Verkäufe aus unserem Programm. Mein Partner Nikolaus Oberhuber und ich halten es für einen historischen Fehler der Kulturlinken, dass sie zwar emanzipative Diskurse entwickelt hat, aber keine ökonomischen Strategien, um sie durchzusetzen. Auch emanzipative Projekte muss man auf dem Markt etablieren. Wir tun, was jede kommerzielle Galerie tut, aber wir denken Kunst zuerst in ihrer Inhaltlichkeit.

Wie finden Sie Ihre Sammler?

Koch: Wir sind immer davon ausgegangen, dass man Sammler systematisch unterschätzt. Es gibt viele Menschen, die gesellschaftlichen Entwicklungen kritisch gegenüberstehen und das in der Kunst reflektiert sehen. Aber in dem Moment, wo sie eine Galerie betreten, werden sie auf die Käuferrolle reduziert. Gute Galerien zeichneten sich immer durch gesellschaftliches Interesse aus. Du musst normativ herangehen und sagen: Ich finde, so sollte das aussehen! Dann kommen Leute, die sagen: Ja, finde ich auch.

Wie hat sich das Sammeln verändert?

Hetzler: Es gibt in Deutschland immer weniger Dreißig- oder Vierzigjährige, die aktiv sammeln. Das ist vielleicht ein Grund, warum der deutsche Markt stagniert. Herr Boll, haben Sie junge, aktive Käufer aus Deutschland?

Boll: Ein jüngerer Käufer geht vielleicht eher zu KOW als zu Max Hetzler, auch wegen des Geldes. Ich kenne privat viele, die mit Angestelltengehältern Fotografie, Zeichnung oder Grafik sammeln. Auf dem Auktionsmarkt sehen wir zwei Gruppen: Die eine besteht aus Sammlern, die etwa eine Papierarbeit aus den Sechzigerjahren kaufen, weil das mit der Kunst zu tun hat, die jetzt entsteht. Das sind Leute in ihren Dreißigern …

Hetzler: Auch aus Deutschland?

Boll: Absolut. Da reden wir von ganz kleinen Auktionen. Dann gibt es natürlich die Erbengeneration, die die Mode des Jahres an der Wand haben will und durchaus mit Bietern aus dem Ausland mithalten kann.

Hetzler: Zeitgenössische Kunst hat immer neues Geld angezogen. Das wird hier offenbar zu wenig verdient, anders als in USA oder London.

Boll: Aber auch die Art und Weise, wie dieses Geld ausgegeben wird, hat sich sehr verändert. Das kommt nicht mehr notwendigerweise auf den Primärmarkt.

Es geht in sichere Anlagen?

Boll: Ja, die Bedürfnisse ändern sich. Es gibt weniger junge Leute, die auf einen Urlaub verzichten würden, um eine Papierarbeit zu kaufen.

Koch: Wir haben schon auch mit jungen Sammlern zu tun. Es gibt da aber ein echtes Problem: Für Sammler, die ein bestimmtes Limit haben, ist es frustrierend, wenn sie einen Künstler mit Leidenschaft sammeln und plötzlich nicht mehr mithalten können, weil aus 20.000 Euro 100.000 werden. Das führt dazu, dass sich gerade junge Sammler fragen müssen: Kann ich das irgendwann gewinnbringend loswerden, um den Künstlern folgen zu können, die mir am wichtigsten sind? Das Marktgeschehen drängt einen dazu, berechnender Mitspieler zu werden, selbst wenn man das eigentlich nicht will.

Hetzler: Aber unser Interesse ist doch auch, Künstler auf ein anderes Preisniveau zu bringen.

Koch: Aber warum denn?

Hetzler: Das ist der Sinn der Sache: Künstler wollen Erfolg haben. Und der Preis ist ein Maßstab für Erfolg.

Koch: Aber das ist doch Mumpitz!

Hetzler: Natürlich ist es Mumpitz.

Koch: Wenn ich als Künstler 100.000 für eine Arbeit bekomme, kann ich doch zufrieden sein. Der Rest ist doch Mindfuck! Hohe Preise haben selten mit ökonomischer Notwendigkeit und fast nie mit Zufriedenheit zu tun. Trotzdem bewegt sich alles weiter in diese eine Richtung. Galerien und Ateliers werden massiv größer, weil das System es so abruft. Wie kann man sich da noch selbstbestimmt behaupten?

Wer als Künstler in den Achtzigern in einer der wenigen Berliner Galerien ausstellte, der hatte etwas erreicht ...

Hetzler: … und wurde auch in Berlin gesammelt.

Ein regionaler Kontext. Doch in dem Maß, in dem sich der Kunstbetrieb vergrößert hat, hat er sich auch verkleinert. Gerade Berliner Galerien sind auf Messen angewiesen. Herr Hetzler, wie viel Ihres Umsatzes machen Sie auf Messen?

Hetzler: Ich denke, dass wir 30 Prozent unseres Umsatzes auf Messen machen und 70 Prozent über unsere Ausstellungen in Berlin.

In Berlin? Von welchem Geld?

Hetzler: Das Klischee, es gebe keine Sammler in Berlin, ist falsch. Aber Sie haben recht, unsere Klientel ist zum Großteil nicht aus Deutschland.

Ihre Sammler fliegen zu Eröffnungen ein?

Hetzler: Es ist eher so, dass man Sammler besucht oder auf Messen trifft und weiß, wer sich wofür interessiert. Man kann als Galerie schon lange nicht mehr aus einer Stadt oder einer Region heraus leben. Durch die Messen hat sich der Markt globalisiert, und das Internet beschleunigt das. Es gibt keine zufälligen Verkäufe. Niemand kommt nebenbei in die Galerie und sagt: Oh, das gefällt mir aber, das will ich haben.

Bei Galerien, die nicht über ein Netzwerk wie Sie verfügen, ist das Verhältnis oft umgekehrt: 70 Prozent auf Messen, 30 zu Hause.

Koch: Tatsächlich gibt es viele, die auf Messen gerade so ihre Unkosten einfahren.

Hetzler: Ich fände es nicht gut, stärker von Messen abhängig zu sein. Es soll ja Galerien geben, die bis zu vierzehn Messen pro Jahr machen.

Vielleicht, um überhaupt wahrgenommen zu werden. Während es sich etablierte Galeristen wie Sie oder Neugerriemschneider leisten können, nur vier zu machen.

Hetzler: Aber die kosten mich so viel Geld, dass ich richtig verkaufen und mich auch bestmöglich präsentieren muss, um im nächsten Jahr wieder zugelassen zu werden. Der Konkurrenzdruck auf Messen ist enorm.

Sie konnten Ihr Geschäft mit Geduld über lange Zeit aufbauen. Gibt es diesen Weg für junge Galeristen noch?

Hetzler: In Berlin war es möglich, wie das Beispiel Neugerriemschneider für die Neunziger- und Johann König für die Zehnerjahre zeigt. Aber es gibt hier auch viele Galerien, die ernsthaft arbeiten und trotzdem wenig Umsatz machen. Das Überangebot ist erschreckend. Man kann jungen Künstlern heute nicht mehr die Möglichkeit geben, ihr Werk über zehn Jahre zu entwickeln, sie müssen sich sofort global behaupten.

Braucht es dann überhaupt noch den Galerieraum, außer um den Zulassungskriterien für die Art Basel zu genügen?

Hetzler: Natürlich! Es ist extrem wichtig für die Künstler, ihre aktuelle Produktion zu zeigen und sich der Kritik zu stellen.

Aber ist die inhaltliche Auseinandersetzung noch so relevant wie früher?

Hetzler: Die schärfsten Kritiker der Künstler sind die Künstler selbst. Und für die und unsere Besucher machen wir Ausstellungen. Sehen Sie das anders, Herr Koch?

Koch: Ein tieferes Verständnis für ein Werk erfordert die Auseinandersetzung vor Ort. Wir geben auch Führungen für verschiedenste Gruppen.

Galeristen sprechen meist erst dann Klartext, wenn sie schließen, wie im letzten Jahr Martin Klosterfelde. Er habe, wie viele, seine Galerie über Sekundärhandel im Hintergrund finanzieren müssen. Jetzt arbeitet er für das Auktionshaus Phillips und sagt, dort könne er junge Künstler besser unterstützen.

Boll: Phillips bildet im Auktionsgeschäft eine Ausnahme, da sie darauf abzielen, möglichst viele junge Künstler erstmals auf die Auktionsbühne zu holen. Christie's und Sotheby's haben eine Art Respektfrist, um zu vermeiden, dass Künstler unter Umgehung des Primärmarktes direkt auf den Sekundärmarkt kommen.

Oscar Murillo ist 27, seine Gemälde brachten auf Auktionen schon 300.000 US-Dollar.

Boll: Das ist für einen Künstler eine ganz schwierige Situation.

Hetzler: Absolut. Wir hatten in unserer letzten Ausstellung im Wedding einen Christopher Wool von 2010, das Bild kostete im Primärmarkt 650.000 US-Dollar. Wenn Sie das jemandem verkaufen, der es morgen einliefert, bekommt er das Doppelte. Die Kunst ist, das Bild so zu platzieren, dass es nicht auf die nächste Auktion geht.

Boll: Aber wenn Ihnen als Auktionshaus ein attraktives Werk angeboten wird, für das es eine starke Nachfrage gibt, ist die Frage nicht: Muss ich den Künstler beschützen? Sondern: Wo kommt dieses Werk auf den Markt?

Sie schreiben in "Kunst ist käuflich" vom Verdrängungswettbewerb der Auktionsunternehmen gegen den Einzelhandel. Die beiden großen Häuser haben in den letzten Jahren selbst Galerien eröffnet oder aufgekauft.

Boll: Die Freude des Auktionsunternehmens am Primärmarkt ist absolut gebrochen. Das wurde in den Neunzigern Thema, in den 2000ern wurde es umgesetzt. Aber was ist davon noch übrig? Gar nichts.

Hetzler: Aber die Privatverkäufe durch Auktionshäuser sind doch extrem gestiegen.

Boll: Das stimmt, es spielt sich aber zu 99 Prozent im Sekundärmarkt ab. Die Konkurrenz zwischen Kunsthandel und Auktionen ist ein Mythos, zumindest an der Marktspitze. Etwa die Hälfte der auf Auktionen verkauften Objekte kommt aus dem Handel, und die Hälfte geht dahin zurück. Die Grenze verläuft weniger zwischen den Systemen als zwischen Großen und Kleinen.

Herr Koch, Sie erkunden gerade Strukturen außerhalb des Marktes. Worum geht es im Projekt "Neue Auftraggeber"?

Koch: Abendländische Kunst war die meiste Zeit Auftragskunst für Oberschichten. Die "neuen Auftraggeber" bilden eine Struktur, die dieses Privileg jedem zur Verfügung stellt. Wir haben ein Netzwerk von Kulturvermittlern in zehn europäischen Ländern, das Bürgerinitiativen dabei unterstützt, Künstler, Mittel und politische Wege zu finden, um ihren Interessen in einem Auftragswerk Ausdruck zu verleihen.

Wie viele Projekte wurden umgesetzt?

Koch: Über 400, auch von vielen bekannten Künstlern wie Martha Rosler, Pierre Huyghe oder Rémy Zaugg. Sie müssen sich hier Herausforderungen stellen, die unmittelbar aus der Gesellschaft kommen. Das ist eine Struktur kultureller Selbstorganisation, die parallel zu Institutionen und zum Kunstmarkt läuft und eigene Ökonomien generiert. Letztes Jahr habe ich die "Neuen Auftraggeber" auch in Afrika gestartet.

Wie können Sie sich die ehrenamtliche Arbeit leisten?

Koch: Indem sie kein Ehrenamt mehr ist. Nach viereinhalb Jahren merken wir, dass die Möglichkeiten, unsere gesellschaftlichen Interessen zu vertreten, in der Galeriearbeit begrenzt sind. Deshalb stellen wir einen zweiten wirtschaftlichen Organismus auf die Beine.

Schlussfrage: Ist gesellschaftliche Ungleichheit gut für den Kunstmarkt?

Hetzler: Kunst und Geld hatten immer eine spezielle Beziehung, aber die Qualität von Kunst ist unabhängig.

Boll: Gesellschaftliche Umbrüche bringen interessante Kunst hervor und Kreise, die sich mit ihr auseinandersetzen und sie womöglich auch kaufen können.

Koch: Ja. Das Hochpreissegment im Kunstmarkt ist Ausdruck eines Umverteilungsprozesses von unten nach oben. Solange ich im Kunstbetrieb bin, beruht meine Ökonomie auf weggenommenem Geld. Insofern bin ich immer Mittäter. Aber ich muss deshalb noch nicht einverstanden sein, sondern kann mich dazu positionieren und sagen, was ich denke. Das ist meine Freiheit.

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für kunstkritik 2012

Will-Grohmann-Preis
der Akademie der Künste 2018