Hirst radiert sich aus

„Bitte reproduzieren Sie keine Bilder“: Der britische Künstler Damien Hirst untersagt dem Kunstmagazin „monopol“, seine Werke zu zeigen.

Die Welt, 20. März 2012

"Egal, wie weit es nach oben geht, du darfst einfach nie Angst kriegen", sagt Damien Hirst in einem Buch mit Interviews, die der Journalist Gordon Burn ab 1992 mit ihm führte - nachdem Hirst quasi im Alleingang die Bewegung der "Young British Artists" gegründet und mit seinem Hai in Formaldehyd einen medialen Hit gelandet hatte.

Wie ist dieser Satz heute zu verstehen, da Hirst versucht hat, der Kunstzeitschrift "Monopol" in die Berichterstattung zu funken? Hält sich Hirst für so hoch gestiegen, dass er sich auch über die Meinungsfreiheit erheben kann? Oder hat er plötzlich doch schlicht Angst?

"Monopol" nahm die im April eröffnende Hirst-Retrospektive in London zum Anlass, den umstrittenen Künstler zum Titelthema zu machen. Die dafür nötigen Bilder verwaltet seine eigene Firma Science Ltd. Sie verlangte, vor der Entscheidung über Bildrechte die Texte vorgelegt zu bekommen. Hätte die Redaktion das getan, wäre das einer Preisgabe der Pressefreiheit nahegekommen.

"Monopol" nannte lediglich die Namen der Autoren und erklärte, man plane ein Pro und Contra. Darauf beschied Science: "... bedauerlicherweise wurde die Erlaubnis vom Atelier Hirst abgelehnt. Bitte reproduzieren Sie keine Bilder von Kunstwerken Damien Hirsts in Verbindung mit diesem Artikel."

Der Vorgang sei "in seiner Dimension einzigartig", erklärt "Monopol"-Chefredakteur Holger Liebs im Editorial der Ausgabe, die am Donnerstag erscheint - so wie geplant, mit Damien Hirst auf dem Cover, nur ohne Abbildungen seiner Werke. Wo diese im Layout vorgesehen waren, erscheinen leere Rahmen mit einer knappen Beschreibung, was jeweils zu sehen gewesen wäre. Das ist eine echt schöne Intervention, wesentlich raffinierter, als wenn da Bilder wären. Die leeren Rahmen bilden Löcher in der Aufmerksamkeitsökonomie und spiegeln die Rezeptionserwartungen zurück.

2008 ging Hirst bereits gegen einen 16 Jahre alten Künstler vor, der seinen diamantbesetzten Totenschädel als T-Shirt-Motiv verkaufte. Die Klage belief sich auf 220 Euro. Der Fall "Monopol" zeigt den Künstler nun abermals als Kontrollfreak.

Hirst radiert sich aus: Gerade einem Künstler, dessen Erfolg auf barocker Bildwucht mit leicht verständlichen Effekten aufbaut, steht der Ikonoklasmus, den "Monopol" ihm gönnt, ausgezeichnet. Vor allem markiert der kleine piktorale Ausnahmezustand aber ein grundlegendes Problem. Denn die sich häufenden Versuche aus Politik und Wirtschaft, Einfluss auf Berichterstattung zu nehmen, haben auch ihre Entsprechung im Kunstbetrieb - vielleicht ermutigt durch eine Kritik, die sich mitunter zu sehr bemüht, die eigene Stellung im System zu sichern. "Je erfolgreicher ein Künstler ist, desto dienstbarer wird oft die Berichterstattung", sagt Holger Liebs. Der aktuelle Fall überschreite allerdings eine Grenze.

Nun ist die Grenzüberschreitung integraler Teil von Hirsts künstlerischem Programm. Vom Punk inspiriert, beruhte Hirsts Schaffen von Anfang an auf Anmaßung - und ist damit mental wie ökonomisch mit dem Aufstieg der Finanzwirtschaft verknüpft. Seine aufsehenerregendsten Auftritte organisierte Damien Hirst immer selbst: 1988 die YBA-Ausstellung "Freeze", 2008 die Versteigerung von 223 neu produzierten Arbeiten. Anschließend brach im Zuge der Finanzkrise der Hirst-Markt laut "Economist" um 93 Prozent ein.

Nun investiert mit der Tate Modern erstmals eine öffentliche Institution ihr symbolisches Kapital in die Konservierung von Hirsts Werk für die Kunstgeschichte - was ein wenig dem Vorgang gleicht, einen Hai in Formaldehyd einzulegen. Es ist eine diffizile Operation, bei der nichts schiefgehen darf, so erklärt sich auch die Nervosität, die aus den Mails von Hirsts Unternehmen spricht.

Science verstößt als Rechteverwalter gegen kein Gesetz. Dafür zeigt sich hier beispielhaft das Schwinden eines grundlegenden Verständnisses von Öffentlichkeit - vielleicht infolge zu hoher Konzentration von Macht und Kapital.

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