Eine Messe kauft sich selbst
Eine Messe, die den Galeristen die Arbeiten abkauft: Das Geschäft läuft in Wien verwirrend anders. Ein Rundgang über die Viennafair
monopol, 21. September 2012
Okay, hier ist die Messe, aber wo ist der Handel? Gediegene Ruhe herrscht an den ersten beiden Tagen der Viennafair, auf der sich 122 Galerien aus 26 Ländern präsentieren – in eher beschaulichem Rahmen, der sich nicht nur der gelungenen großzügigen Architektur des Wiener Büros BWM verdankt.
Der Neustart der Viennafair wurde mit Spannung und Skepsis erwartet, nachdem Anfang Januar der russische Investor Sergey Skaterschikov die Rechte an der Kunstmesse von Reed Exhibitions erwab. Reed veranstalten auch Paris Photo und FIAC, die selbst nicht gerade Goldesel sind – so konnte man wohl gut auf Wien verzichten, das sich als Kunsthandelsstandort traditionell schwer tut.
Hier ticken die Uhren langsamer, das sagen alle, die schon lange kommen, wie die Wiener Galerie Krinzinger, die mit Jonathan Meese oder Marina Abramovic groß aufträgt und sich den Stand mit Micheline Szwajcer aus Antwerpen teilt, die neben Hans-Peter Feldmann Collagen von Kader Attia zeigt, der seit seinem Auftritt bei der documenta 13 breite Beachtung findet. Verkauft war hier bis Donnerstagabend noch fast nichts, alle wetten auf das Wochenende. Wiener Käufer wägen ab, optionieren und kaufen oft erst Tage nach der Messe. Die Kundschaft besteht hier zu weiten Teilen aus Unternehmenssammlungen und Institutionen, deren Kuratoren auch noch mal vor dem Kauf Rücksprache halten. Wien ist weder Heimat noch Reiseziel für Supersammler – deshalb entwickelte die neue Messeleitung ein Konzept, das Sammler gar nicht dringend nötig hat.
Der Messe ist es gelungen, Galeristen wiederzugewinnen, die ihr in den letzten Jahren den Rücken gekehrt hatten, darunter der Salzburger Großverkäufer Thaddeus Ropac, der neue Arbeiten von Baselitz wie von Ilya und Emilia Kabakov zeigt – ein Gemälde der letzteren wurde für 650.000 Euro verkauft. Es ist das eine Ausnahme im allgemeinen Bild. Erstens sind in Wien nur wenige derart teure Werke im Angebot (etwa noch Tony Cragg und Jan Fabre beim Wiener Mario Mauroner); zweitens ist hier der kauffreudigste Kunde die Messe selbst.
Ja, die Messe selbst. Der Ökonom Sergey Skaterschikov verblüfft in Wien mit einem völlig neuen Geschäftsmodell: Parallel zur Messe gründete er einen Kunstfond, die Art Vectors Investment Partnership. Sie gehört wie die Messe zu 70 Prozent Skaterschikovs Trust und zu 30 einem Verband aus Wiener Galeristen und Sammlern. Für eine Million Euro sollte auf der Messe eingekauft werden, mit Schwerpunkt auf Kunst aus Süd- und Südosteuropa. In der Jury saßen unter anderem Joseph Backstein, Gatekeeper der russischen Kunstszene, der Chefkurator des Istanbul Modern sowie Nicolaus Schafhausen, neuer künstlerischer Leiter der Wiener Kunsthalle. Vor allem Video wurde gekauft, Zeichnung und Konzeptkunst, etwa ein kleinformatiges Zahlengemälde von Roman Opalka für 70.000 Euro bei Zak Branicka.
Ein garantierter Mindestumsatz, dazu ein reichhaltiges Diskursprogramm nach Madrider Vorbild, das überdurchschnittlich viele Kuratoren lockt – so ließen sich auch die Berliner Carlier Gebauer anwerben, die einen hervorragend eingerichteten Stand unter anderem mit Paul Graham und Thomasz Kowalski präsentieren, bei den Ankäufen aber leer ausgingen, wohl weil sie es versäumten, die obligatorische Bewerbung auszufüllen. Während die Jury pikanterweise gar nicht die volle Million ausgab: Dafür fand sie wohl zu wenig Qualität.
Eine Messe, die den Sammlern die Arbeiten wegkauft: Das Geschäft läuft in Wien verwirrend anders. Die größte gefühlte Neuerung sind junge russische Sammler, die Galeristen offenherzig erzählen, dass sie zu Hause gerade Kurse im Kaufen von Kunst belegen.
Am besten ist die Stimmung bei der türkischen Szene, die letztes Jahr einen Schwerpunkt bildete und selbstbewusst aufträgt, mit frischen Positionen wie der Malerin Inci Furni bei Rampa, deren versponnene Kassetten-Ölgemälde auch an den Fond gingen. Die türkische Kunst wird nicht nur von der Investitionsfreunde Istanbuler Industrieller getragen, sondern ist in Wien auch schon lange gut vernetzt und auch von Institutionen geschätzt. Kemal Seyhan (tolle abstrakte Gemälde bei Mars) oder Nilbar Güres (eine Collage wurde angekauft) lebten hier. Wien als Hub zwischen Mittel-, Ost- und Südeuropa: Das ist der einzige wirkliche Standortvorteil, den Wien mitbringt und auf den Skaterschikov aufbaut – der nebenbei der zu Hause parallel stattfindende Art Moscow Konkurrenz macht. Ihr hat er nicht nur Galeristen wie Sergej Popoff abgeworben, sondern auch gleich die künstlerische Leiterin Christina Steinbrecher, die in Wien zusammen mit der litauischen Galeristin Vita Zaman eine kleine Überblicksschau von Kunst aus den früheren Sowjetrepubliken kuratiert hat.
Es zieht in Wien ein völlig neuer Wind auf, er kommt aus dem Osten und fährt mit eiskalter Rationalität in den Kunstbetrieb. Sergey Skaterschikov, studierter Ökonom, der erst 2004 zur bildenden Kunst fand, ist ein Vordenker der strukturellen Verschiebungen im globalen Kunstmarkt, hin zur Behandlung von Kunst als Investitionsobjekt. Mit analytischer Schärfe erklärt er in Interviews die Angleichung des Kunstmarktes an den Handel mit Autos oder Uhren, die auch Thema beim parallel statt findenden "International Art Industry Forum" war. Skaterschickovs Firma Redline betreibt den New Yorker Marktmonitordienst „Skate’s Art Investment“, hält Anteile am Magazin „Art in America“ und hat gerade dem Online-Dienst „artnet“ ein Kaufangebot gemacht. Man wolle verstärkt in E-Commerce investieren, erklärt Messe-Manager Markus Huber. Es ist offensichtlich: Geld ist in Wien nicht das Problem. Es geht nicht um mittelfristigen Gewinn, sondern um die Sicherung von Marktanteilen.
Viele öffentliche Häuser in Osteuropa hätten nicht das Geld für Sammlungen, geschweige denn hochkarätige Ausstellungen, erklärt Huber. Ihnen solle die entstehende Sammlung der Art Vectors Investment Partnership zugute kommen. Für das kommende Jahr sind Satellitenveranstaltungen etwa in Moskau angedacht, die ein junges, mittelständisches Publikum für die Kunst gewinnen wollen. „Skaterschikov wird oft falsch verstanden, als ginge es ihm vorrangig um Geld“, erklärt Huber. „Dabei geht es ihm auch um Investitionen in die Zivilgesellschaft, in die kollektive Erinnerung.“ Andere drücken es so aus: Nach der Wende wurde der Osten vom Westen gentrifiziert. Jetzt gentrifiziert der Osten den Westen.