Die Kunst zu sammeln

Was sollen Museen heute sammeln? Das Magazin der Kulturstiftung der Länder Arsprototo bat um einen persönlichen Blick auf Wünsche und Desiderate von der deutschen Nachkriegskunst bis zur Gegenwart.

Arsprototo, 29. November 2013

Einst werden Museumsbesucher, so es noch Museen gibt, durch die Sammlungen des frühen 21. Jahrhunderts streifen. Werden sie sich in den Spiegelkabinetten Olafur Eliassons selbst ablichten, wie es heutige Besucher tun? Werden sich junge Künstler von den Videoinstallationen Keren Cytters inspirieren lassen wie heute vom Avantgardefilm der Sechziger? Wird ein Aufseher den Eintretenden ein Ständchen bringen, gefolgt von der Angabe von Werk und Künstler: „Tino Sehgal, 2013“?

Wer Sammlungen der Gegenwart verwaltet, schreibt an der „Vergangenheit der Zukunft“ (Philip Fisher). Die Verteilung von Deutungshoheit ist dabei längst nicht mehr so klar wie im 19. Jahrhundert, als in Europa die zeitgenössische Kunst erfunden wurde – mit der Eröffnung des „Musée des artistes vivants“ im Palais du Luxembourg 1818 oder der Gründung der Neuen Pinakothek 1846 durch Ludwig I. Gegenwartskunst war schon damals eine Frage des Standortmarketings, wie der Museologe Bruce Altschuler darlegt. Das Interesse an ihr ging durchaus mit nationalistischen Neuausrichtungen der Sammlungen einher. Weil der Direktor der Berliner Nationalgalerie Hugo von Tschudi französische Impressionisten ankaufte, geriet er regelmäßig mit Wilhelm II. und lokalen Künstlern aneinander. Von Tschudi definierte das Museum als Motor der Moderne. Für seine Nachfolger in den 1920ern war das Sammeln internationaler Avantgarde schließlich selbstverständlich.

Die Zeit, in der ein Werk für die Kunstgeschichte gesetzt war, sobald es in eine Handvoll Museumssammlungen einging, neigte sich allerdings mit dem Aufstieg des Marktes für Gegenwartskunst und privater Sammlungen seit den Achtzigern dem Ende zu. Geltung erhält eine Position heute zunächst durch ihre Wertsteigerung auf dem Markt, dem die Institutionen zunehmend hinterher laufen. Vom Auktionsmarkt mit seinen oft irrationalen Ergebnissen sind Museen in der Regel ausgeschlossen.

Sammeln ist ein Wettspiel auf die Zukunft. Für dessen Verständnis ist es sinnvoll, Museen nicht als zweckfreie Sphäre dem Markt gegenüberzustellen, sondern das Zusammenspiel ihrer Entscheidungen mit dem Markt zu betrachten. Diese Entscheidungen stellen eine besondere Währung dar, deren Kurswert allerdings langfristig schwanken kann, wenn sich persönliche Interessen oder Geschmäcker einzelner Kuratoren oder Direktoren durchsetzen. Dem kann ein System der Gewaltenteilung zwischen Kuratoren und Ankaufskommissionen vorbeugen, wie es sich im Museum of Modern Art in New York seit langem bewährt hat.

Ankäufe heben den Marktwert eines Werks, mit der Folge, dass das Museum sich dieses Werk meist selbst nicht mehr leisten könnte. Im Idealfall greift es daher in einer frühen Werkphase ein, wie das Berliner Kupferstichkabinett, das als erstes Museum Arbeiten der Zeichnerin Jorinde Voigt ankaufte.

Immer öfter aber beruhen Ankäufe auf der Initiative von Galeristen, die nicht nur, wie schon immer, Rabatte gewähren (üblich sind bis zu 30 Prozent) oder eine Schenkung als Zugabe anbieten, sondern sich auch in die Finanzierung von Ausstellungen einbringen. Marktführer wie David Zwirner in New York stemmen Überblicksschauen von Blinky Palermo oder Richard Serra, die sich öffentliche Häuser kaum leisten könnten und platzieren darin verkäufliche Arbeiten zwischen Museumsleihgaben. Museen werden damit Teil der Spekulationsmasse und Galerien geraten in die Lage, auch im Nachhinein an der Kunstgeschichte mitzuschreiben – was noch nicht zwangsläufig schlimm sein muss, schließlich fällt es ihnen auch leichter, ausgezeichnete Fachleute zu bezahlen.

Mit Angeboten aus dem Nachlass Peter Roehrs hat Galerist Mehdi Chouakri seit sechs Jahren die Wiederentdeckung des 1968 früh verstorbenen Künstlers als Pionier der Minimal Art in Deutschland begleitet. Neben privaten Sammlungen ist Roehrs Werk im Frankfurter MMK Museum für Moderne Kunst konzentriert, das bereits in den Siebzigern viele Arbeiten zu Sonderkonditionen vom Galeristen Paul Maenz kaufte. Neue Arbeiten auf dem Markt könnten zu einer größeren Streuung führen. Doch es sind private Sammler, die hier zugreifen, nicht etwa Museumsvertreter, die Lücken in Nachkriegssammlungen schließen wollen.

Das ist auch verständlich, wäre es doch unsinnig, an einem Wettrennen um jede künstlerische Tendenz festzuhalten. Eine gute Sammlung zeichnet sich durch Konzentration auf Schwerpunkte aus, und spätere Versuche, vermeintliche Versäumnisse zu korrigieren, können sich vor der Geschichte gerade als Fehler erweisen. Während der Markt stark auf Künstlerpersonen baut, ist es an Museen, nach Themen zu sammeln, zu kontextualisieren und Kriterien zu entwickeln, die im besten Fall auch für den Markt gelten. Dabei könnte es nicht schaden, wenn öffentliche Häuser untereinander einen stärkeren Austausch über ihre Sammlungsstrategien führen würden. Das könnte erlauben, wieder unabhängiger von den Setzungen privater Akteure zu werden und eine Restkontrolle über die Geschichte zu behalten.

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