Die dicksten Eier von New York

Wo sich Seriosität mit kumpelhafter Entspanntheit verbindet: In ihrem zweiten Jahr ist die Kunstmesse Frieze wirklich in New York angekommen

Welt am Sonntag, 12. Mai 2013

Die Sorgen waren unbegründet: Nicht mal der Regen am Vormittag des Preview-Tages kann die Gäste von der Fahrt nach Randall's Island abhalten. Bis vor einem Jahr wusste selbst kaum ein New Yorker von der versteppten Insel zwischen Manhattan, Queens und Brooklyn – bis die Briten Amanda Sharp und Matthew Slotover von der Londoner Frieze Art Fair kamen und hier draußen ihr Zelt aufschlugen. Die Gründung war noch von zurückhaltendem Optimismus geprägt. Ein Jahr später schieben sich viele der einflussreichsten Sammlerinnen und Kuratoren durch die lichte, großzügige Zeltarchitektur, auf deren Dach das Wasser pladdert: Der New Yorker Sammler Sascha Bauer ist da, Don und Meera Rubell aus Miami, Frank Cohen, Augustín Koppel und Celebrities wie die Schauspielerin Uma Thurman, Musikproduzent Pharell Williams und Bürgermeister Bloomberg.

"Die würden auch kommen, wenn sie schwimmen müssten", meint Andreas Gegner, Londoner Direktor von Sprüth Magers. Und das gute an der Insellage ist, dass die Gäste, schon mal da, auch gleich ein paar Stunden bleiben und sich in den Ablegern ausgesuchter New Yorker Restaurants niederlassen, die den Parcours geschickt auflockern. Ja, die Frieze ist nicht einfach in New York angekommen. Sie ist in die Stadt eingefahren wie ein heißes Messer in Butter.

Sprüth Magers haben in den ersten Stunden ein schwarz-weißes Strickbild von Rosemarie Trockel verkauft und eine Fotografie von Cindy Sherman von 1983, Preis geheim. 880.000 Dollar kostet ein noch früherer Silberdruck Shermans vom Sekundärmarkt, der ungewöhnlich romantisch wirkt, die Künstlerinnenwangen erhellt von einem aufflammenden Feuerzeug. Barbara Kruger gibt's ebenfalls, für 250.000 Dollar – wobei Krugers Blickfänger eine Ecke weiter bei L&M hängt: "You Look Good", begrüßen gewaltige weiße Lettern auf schwarzem Grund die Neuankömmlinge. Eine neue Arbeit, die zwar auf den zweiten Blick eine verunsichernde Doppelbödigkeit aufweist, sich auf den ersten aber wunderbar in die erlesene Jahrmarktsdramaturgie einfügt.

Ein gewaltiger roter Ballonpudel ragt draußen über dem Skulpturenpark auf und begrüßt die Gäste, die in Limo, Wassertaxi oder einem Shuttle-Service mit alten Schulbussen vorfahren: ein flotter Gruß von Paul McCarthy an den Kollegen Jeff Koons, der sich gegenüber in Manhattan gerade mit Ausstellungen in zwei führenden Galerien zugleich eingerichtet hat, bei David Zwirner und Larry Gagosian. Kritikerikone Jerry Saltz bringt die Geste beim zufälligen Treffen auf der Toilette auf den Punkt: "Meine Eier sind dicker als deine." Ein Spielverderber, wer hier noch versucht, die Kunst von der Überbietungslogik des Marktes zu trennen.

Ein weiteres Aufblastier mischt sich vor dem anderen Ende des Messezeltes ein: Mit einer Gummiratte protestieren Gewerkschaftler gegen die Beschäftigungspolitik der Messe. Andrea Bowers, engagierte Künstlerin aus L.A. mit zwei Frieze-Auftritten, hat die Flyer designt und will die Hälfte der 28.000 Dollar für das große Poster bei Kaufmann Repetto spenden.

190 Aussteller zählt die Messe, 10 mehr als im letzten Jahr. Die Hälfte kommt aus Europa. Esther Schipper, die neben Hauser & Wirth, der Warschauer Galerie Foksal und anderen im Auswahlkomitee sitzt, zeigt sich glücklich über das Niveau, das die Armory Show doch recht deutlich an die Wand spielt: "Schrammelig und runtergerockt" sei es dort, die Wände schief, und schmutzig. Mit dem eleganten Corporate Design und Standschildern aus Karton verbindet die Frieze dagegen seriöse Professionalität mit kumpelhaft-provisorischer Entspanntheit. Ja, es brauchte offenbar die Europäer, um den New Yorkern zu zeigen, wie eine Messe geht.

Schipper hat schon eins der Pferdchen von Ugo Rondinone verkauft (für 45.000 Euro), dessen Skulpturen auch noch bis Anfang Juli vor dem Rockefeller Center stehen. Mit tief gehängten Wolkenbildern von Matti Braun (bis 23.000 Euro) und einer bunten Tür von Liam Gillick atmet Schippers Stand die Atmosphäre einer Sommerfrische. Die Markise mit Neonröhren von Philippe Parreno ist auch schon weg, für 85.000 Euro.

Drüben bei Marian Goodman erstehen derweil die Geister auf, die Parreno einst rief, als er 1999 mit Pierre Huyghe die Rechte an der Mangafigur Ann Lee kaufte. Verschiedene Künstler arbeiteten mit dem fiktiven Charakter, bevor er 2003 im San Francisco Museum of Modern Art öffentlich beigesetzt wurde. Nun durfte Tino Sehgal Ann Lee wiederbeleben: Eine vielleicht elfjährige Schauspielerin bewegt sich wie an Schnüren und spricht die Gäste mit Fragen an wie: "Was ist die Verbindung zwischen einem Zeichen und Melancholie?" Du bist ein Zeichen, antworte ich, und du machst mich melancholisch.

Vier Exemplare gibt es von der Performance "Ann Lee" zu kaufen, aufsteigend ab 80.000 Dollar, das erste ging schnell weg. Der Stand ist eine originelle Setzung, die Grande Dame Goodman hat es einfach nicht nötig, mit Richter oder Broodthaers aufzufahren. Lässig unterstreicht sie aber mit ihrer ersten Teilnahme, dass auch die New Yorker Händler die Frieze freundschaftlich empfangen haben.

Sportlich fahren am Südeingang zwei Konkurrenten der Superliga, David Zwirner und Gagosian, direkt nebeneinander auf. Während Gagosian einen Gemischtwarenladen mit unter anderem Rauschenberg, Richard Prince und Andreas Gursky zeigt, Hauptsache groß und teuer, hat Zwirner sich dem allgemeinen Trend zur kuratierten Auswahl angeschlossen und zeigt nur Fotografien von Thomas Ruff – von frühen Porträts und Innenräumen aus den Achtzigern (7000 Dollar) über verwischte "nudes" (70.000 Dollar) bis zu neuen Montagen, in denen der Fotograf Laszlo Moholy-Nagy spielt (95.000 Dollar). Gingen weg wie geschnitten Brot. Man müsste mal die Geschichte deutscher Kunst nach '45 anhand der Ankäufe durch amerikanische Sammler erzählen.

Echtes US-Gefühl kommt bei der Galerie Sean Kelly auf, wo neben einem kleinen Wandobjekt von Donald Judd und einem spröden Frauenporträt des Fotografen Alec Soth ein Gemälde des Malerstars Kehinde Wiley prangt: Ein auf der Straße angesprochener Passant ist fast fotorealistisch wiedergegeben, umrankt von einem quietschbunten Gepränge aus Blattwerk und Tropenvögeln. Das strahlt sinnliche Hitze aus, und tatsächlich werden Wileys Gemälde nie kalt: Ein afroamerikanisch und queer geprägter Sammlerkreis kauft dem Maler alles von der Wand weg, so auch dieses Bild für 125.000 Dollar.

Der harte Wettbewerb der Messen verlangt auch großen Galeristen Entscheidungen ab: Michael Werner zum Beispiel verzichtete auf die Frieze New York, um sich Ende Mai die Art Basel Hong Kong leisten zu können. In Nordamerika hat die Frieze sich jedoch mit ihrer strengen Auswahl umgehend zur Messlatte dafür entwickelt, wer dazu gehört und wer nicht. Das erste Jahr war noch ein Zuschussgeschäft, jetzt stehen alle Zeichen auf Konsolidierung: Für 2014 erhoffen sich Sharp und Slotover schwarze Zahlen. Das Zelt auf Randall's Island ist ein Erfolg, Handlungsbedarf sieht dafür mancher umgekehrt zu Hause in Europa: Hat doch die New Yorker Ausgabe einen Standard an Konsistenz und Aufgeräumtheit gesetzt, an den die Muttermesse in London erst mal wieder ranreichen muss.

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für kunstkritik 2012

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