Wo bleibt das Negative?

Vor seiner Preisträgerausstellung als "Deutsche Bank Künstler des Jahres": Roman Ondáks nicht so glücklicher Auftritt in Düsseldorf

Die Welt, 25. April 2012

Dass im Oktober die Entscheidung für den "Deutsche Bank Künstler des Jahres 2012" auf Roman Ondák fiel, ist seltsam. Nicht weil der in Bratislava lebende Konzeptkünstler sie nicht verdient hätte. Die symbolische Tragweite seiner Ansätze bewies Ondák spätestens im slowakischen Pavillon auf der Venedig-Biennale 2009.

Statt den Raum mit Objekten zu füllen, ließ er damals schlicht die umliegende Bepflanzung der Guardini im Innenraum fortsetzen und brachte durch diese ätherische Geste die Architektur mitsamt des ganzen Biennale-Konzeptes nationalen Kräftemessens zum Schweben. In seinen installativen Spiegelszenen löst Ondák voneinander geschiedene Kontexte aus ihren Rahmen und setzt sie einander gegenüber auf die Wippe. So gelingen ihm Lockerungsübungen in den festen Ordnungen von Raum, Zeit und Identität.

Nein, der Preis ist angemessen, kommt aber zu spät. Schließlich ist der 1966 geborene Ondák schon länger in Museen und Markt installiert, so kaufte die Londoner Tate Modern schon 2005 seine Warteschlangen-Performance "Good Feelings in Good Times". Die Auszeichnung kommt zu einer Zeit, in der es für Ondák äußerlich so gut läuft, dass er inhaltlich schon ins Straucheln kommt, wie gerade in Düsseldorf zu besichtigen. Bevor heute seine Preisträgerausstellung in der Berliner Deutschen Guggenheim eröffnet, hatte er in der K21 im Ständehaus noch einen Routinetermin zu absolvieren.

In diesem eigenartigen Ausstellungshaus, in dem die Kunst immer wirkt wie von einer Zentrifuge aus dem gähnenden Lichthof in die umliegenden Gänge gedrückt, bespielt Roman Ondák drei neu erschlossene Räume in der Beletage an der Parkseite.

Ganz hinten sind die Bauteile einer früheren Installation eingelagert: In Trient hatte Ondák ein auf dem Rücken liegendes Schindeldach in einen Galerieraum gebaut, die Unterseite öffnete sich nach oben, belegt mit den Metallplatten, die dort normalerweise an der Decke hängen. Balken, Schindeln und Schrauben liegen nun sauber sortiert in Düsseldorf wie zur Weiterverarbeitung, und ein von hinten mit Tageslicht erleuchteter Guckkasten zeigt die Ursprungsarbeit.

So verkniffen und ziellos diese Zweitverwertung wirkt, so beredt ist der erste Raum, eingerichtet wie ein Archiv, mit Zeichnungen an Wand und Vitrinen, Fotos von Gewaltakten und Zeitungsausschnitten aus der Bauzeit des Panamakanals. Anhand dessen Baugeschichte beschäftigte sich Ondák mit den Periphäreffekten infrastruktureller Großplanung und initiierte schließlich in Panama einen Überwindungsversuch der kontinentalen und wirtschaftlichen Grenze: Ein Video zeigt das Plakatieren von Einladungen zum gemeinsamen Steinehüpfen am Ufer und dann zwei Dutzend Leute, die sich wie Liliputaner am Bildrand dem riesigen Kanal nähern, ihre Steinchen schleudern und unverrichteter Dinge wieder abziehen, während die Wellen unbeeindruckt gegen das Ufer spülen. Ein schönes Gleichnis für die begrenzte Reichweite individuellen Einflusses wie auch künstlerischer Interventionen. Schade nur, dass die Präsentation sich so behaglich in Nostalgie einrichtet.

Im mittleren Raum sitzt das große Rätsel der Ausstellung: ein etwas mehr als menschenhoher Miniaturhügel mit Baum, wie aus einer größeren Modellbaulandschaft. Die dekorative Skulptur erinnert an Ondáks erste große Vorstellung im Rheinland 2003 im Kölnischen Kunstverein, wo er den Boden eines Raums als Marsoberfläche gestaltete. Dagegen ist dieses Märchenmöbel hier hilflos banal. Aus dem Begleittext zu schließen, war wohl irgendeine illusorische Wechselwirkung mit dem Blick in den Ständehauspark geplant, die einen als Gulliver ins Land der Liliputaner versetzen sollte. Die Entwurfszeichnung des Künstlers zeigt auch einen die gesamte Breite des Raumes ausfüllenden, ganze drei Meter hohen Berg. Stattdessen sitzt hier nur ein künstlicher Mooshaufen in der Mitte des Raumes, als Bild ohne doppelten Boden.

Ondák war selbst, so ist zu hören, über die Leistung der wohl vom Haus schlecht ausgewählten Aufbaufirma schwer enttäuscht. Eine Neuanfertigung wurde ihm aber versagt.

In solch einer Situation ist der Künstler eigentlich gegenüber seinem eigenen Werk verpflichtet, die Ausstellung platzen zu lassen. Dass Roman Ondák das versäumt hat, demonstriert, woran es seiner Arbeit bislang fehlt: Negativität.

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für kunstkritik 2012

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