Wer reibt, der bleibt

Das Schwere im Leichten: Der Berliner Bildhauer Michael Sailstorfer in der Kestnergesellschaft

Der Tagesspiegel, 11. Januar 2011

Der Wald, Ort des Unheimlichen, Fremden, dunkel lockender Zerrspiegel des rationalen Menschen. War einmal. Der mitteleuropäische Wald ist durch und durch Kulturlandschaft.

Die Kunst, Hort des Guten, Wahren, Schönen. Auch nur solange, wie sie geschützt in klimatisierten Räumen hängt.

1915 setzte Kasimir Malewitsch mit seinem Schwarzen Quadrat die Kunst über die Natur. Dieses Pathos hat der Bildhauer Michael Sailstorfer nun zurück in die Natur gesetzt: In einem Kubus von sechs Metern Kantenlänge ließ er ein Stück Wald schwarz ansprühen, als läge ein Schatten über Sträuchern, Laub und Stamm. Eine Überwachungskamera überträgt das Ergebnis live in die Räume der Kestnergesellschaft in Hannover. Dort erklärt das schwarze Viereck eines Fernsehers, platziert auf weißem Sockel, die Szene zur Bühne.

Mit der Arbeit „Schwarzwald“ legt Sailstorfer eine Leitung zwischen Kunstraum und Wirklichkeit; wobei die Wirklichkeit weiter in imaginäre Ferne rückt als die Kunst, kann doch niemand überprüfen, wo das versteckte Waldstück liegt (im Schwarzwald jedenfalls nicht). Es ist eine Intervention, die auf Gegenseitigkeit beruht: Nach und nach holt sich die Natur zurück, was ihr gehört. Und verweist den Allgemeingültigkeitsanspruch künstlerischer Gesten freundlich in die Schranken.

Schon als Kunststudent fegte Michael Sailstorfer mit einer Wurzelbürste ein Stück Wald aus. Spielerisch verhandelt er die Grenzen von Skulptur und Raum und übersetzt existenzielle Aporien in närrische Versuchsanordnungen. Nach und nach geht im Video „3 Ster mit Ausblick“ das Holz einer Hütte in ihrem eigenen Ofen auf, bis nur der rauchende Schornstein bleibt. Sailstorfers Arbeiten haftet etwas Bodenständig-Rustikales an, und die Tatsache, dass das einer gewissen Vorstellung vom „Deutschen“ entspricht, ist vielleicht nicht unschuldig daran, dass seine Karriere in den letzten neun Jahren ähnlich steil in die Höhe schnellte wie der „Raketenbaum“, den er auf einer Wiese nahe des bayerischen Elternhauses in die Luft sprengte. In Hannover zeigt die Kestnergesellschaft nun mit „Forst“ die bisher größte Werkschau des erst 31jährigen Wahlberliners.

Sailstorfers präsenteste Marken waren zuletzt die Autoreifen, die sich unter großer Geräusch- und Geruchsentwicklung selbst an der Wand abreiben; und der Kunststoffpanzer, der sich im Wechsel aufpumpt und erschlafft. Beide sind nicht in Hannover. Dafür quillen seine „Clouds“ aus dem Flur, LKW-Schläuche, die schon im Düsseldorfer K21 an Warhols schwebende Silberkissen erinnerten. Unter diesem libidinösen Geschwülst warten zu Antennen umfunktionierte Kleiderständer auf nie eintreffende Signale. Wirklichkeit, eine Ansammlung absurder Kippbilder.

Nur Funkenschläge liegen bei Sailstorfer zwischen Fantasie und Präsenz. Grau beschichtete Glühbirnen aus der „No Lights“-Serie spannen sich als dysfunktionale Festbeleuchtung durch den Raum und betonen die Theatralität von Sailstorfers Arbeiten. Die selbstironische Feierlichkeit ihrer Effekte erinnert an Jahrmärktsattraktionen des 19. Jahrhunderts, bei denen wissenschaftliche Erfindungen im Spiel erfahrbar wurden. Kurator Martin Germann sieht den Humor Karl Valentins am Wirken. Titel wie „Andy Warhol trägt Parfum“ klingen nach Boulevardkomödie und erklären die Objekte zur Akteuren. Die an der Wand lehnende Latte könnte eine Minimal-Skulptur sein; nur hängt an ihr ein Duftspender, der den Vorbeigehenden Drogerieparfum hinterher pustet.

Sailstorfer nimmt Positionen aus der Kunstgeschichte das Pathos und gibt ihnen eine spielerische Wendung, zum Publikum hin. Dabei nutzt er durchaus klassische Minimal-Strategien: gesteigerte Wahrnehmung durch Reduktion von Material. In ihrer schelmischen Zurückhaltung fordern die Arbeiten Körpergefühl und Teilnahme des Betrachters heraus. Wie in einer Umkehrung von Bruce Naumans „Tape Player“ nimmt das einbetonierte Mikrofon im „Modell-Reaktor“ die Schwingungen der Schritte auf und weitet in Rückkopplungsschleifen den akustischen Raum.

Der Kronleuchter „Hang Over“ von 2004 gewinnt hier noch an Wortwitz (Hang-Over – Hannover, haha). Flaschen einer lokalen Biermarke sind in drei Ringe eingehängt, von minimalistischen Neonröhren durchleuchtet und von einem Kühlaggregat temperiert. Mit kindlicher Entdeckerfreude kann man sich erst ein Bierchen nehmen und dann „Duchamps Flaschentrockner“ raunen. Der demonstrierte 1914, dass alles, was benutzt wird, auch Kunst werden kann. Sailstorfer geht einen Schritt weiter und zeigt, dass, was Kunst ist, auch benutzt werden kann.

In der Neuproduktion „Forst“ findet sein Programm zu einem neuen Höhepunkt. Drei Eichen und zwei Buchen, die deutsche Ur-Bewaldung, hängen unter dem Gewölbe der früheren Schwimmhalle kopfüber an Motorenarmen, die sie fortwährend um sich selbst zerren. Mit ihren umgebogenen Baumkronen rühren sie, Reisig und Besen zugleich, im eigenen Laub und Rindenabrieb und schreiben wie Zeichenmaschinen ihre Kreise in den Boden. Ein Derwisch-Tanz zwischen Folter und Unterhaltung, ein zur Schau gestelltes Missverhältnis zwischen apparativem Aufwand und messbarem Ergebnis. Und so melancholisch diese absurde Sisyphos-Arbeit anmutet, so sehr wiegt die Komik des Unfreiwilligen alle Schwere auf. Das Existenzielle im Beiläufigen – es ist ein Drahtseilakt, der bisher bestechend gut aufgeht.

adkv - art cologne preis
für kunstkritik 2012

Will-Grohmann-Preis
der Akademie der Künste 2018