Oops, sie tut es wieder

Personifikation des Finanzsystems: Über die Ökonomie von Krise und Comeback am Beispiel Britney Spears

Der Tagesspiegel, 25. November 2008

Die Prinzessin ist wieder wachgeküsst. Es war Anfang des Monats in Los Angeles, wo die Polizei es schon gewohnt ist, Britney Spears aufzugreifen, wenn sie mal wieder einen Führerschein zu wenig in der Tasche oder zwei Kinder zu viel im Haus hat. Auf einem Konzert von Popgöttin Madonna trat Spears in braver Bluse auf die Bühne und wiegte an der Seite der stramm die Gitarre schlagenden Amazone ein wenig die Hüften.

Madonna war es, die Britney zum Camp-Symbol erhob, als sie sich 2000 in einem T-Shirt von ihr zeigte. Madonna war es, welche bei den MTV Video Music Awards 2003 in männlicher Unterwerfungsgeste einer bebenden Spears vor dem ganzen Publikum einen Zungenkuss aufdrückte. Jetzt ist es wieder Madonna, die Unfehlbare, welche das kleine sündige Mädchen ins Licht führt.

Britney Spears, das Comeback, gefühlte Folge 83. Letzten Herbst wurde sie für unmündig erklärt, Anfang des Jahres galt sie noch als Selbstmordkandidatin. Doch schon im September räumte sie bei den MTV Video Awards plötzlich drei Preise ab und galt wieder als beste weibliche Künstlerin. Am Freitag erscheint ihr Album „Circus“. Die Single „Womanizer“ sprang direkt auf Platz eins der US-Charts.

Sie fühle sich ein bisschen wie ein „Täglich grüßt das Murmeltier“, gestand Spears vor den Kameras des Senders „MTV“, der dem Star Ende der Woche eine Promo-Dokumentation widmen wird. Dabei ist sie doch selbst das Murmeltier. „Warum eigentlich gilt eine, die im letzten Jahr vor allem als menschliches Wrack von sich reden machte, an Musik-Preisverleihungen als ,bester Haupt-Act‘“, fragte die „NZZ am Sonntag“. „Ist es Zynismus? Vielleicht.“ Na klar. Es ist der längst normal gewordene Zynismus einer Star-Maschinerie, die in den ewigen Kreisläufen von Selbstent äußerung und Selbstvermarktung durchdreht.

An Britney Spears’ Comeback ist überhaupt nichts Erstaunliches. Die Frau ist die Personifizierung des globalen Finanzsystems: Die Krise ist in ihrer Karriere seit je ein konstitutives Element. Krise und Comeback – diese Worte haben im Englischen denselben Anfangsbuchstaben. Bei Britney Spears gehen sie in eins. Alle Häme für ihre Fehltritte gehen schon deshalb daneben, weil das Unperfekte schon immer Teil der Figur Britney Spears war. Ihre Währungen sind Kindchenschema und Helfersyndrom. Ein Star lebt davon, dass er hinter seiner öffentlichen Figur immer wieder sich selbst aufblitzen lässt.

Die Schwierigkeit ist es, dabei die Kontrolle zu behalten. Das schafft Madonna auf beeindruckende Weise. Britney nicht. Sie wirkte von Anfang an wie ein Flittchen, das von Produzenten und Managern eingespannt wird. „Britney Bitch“, so hat sie sich selbst genannt. Doch genau das ist der Grund, warum ein Kontrollverlust die Figur Madonna zum Platzen bringen könnte, während er den bunten Luftballon Britney Spears hingegen nur größer macht. Jede Niederlage wird gleich wieder findig in einen Marktvorteil verwandelt – offen vorgeführt mit dem letzten Album, dessen Titel direkt auf die legendär peinliche Performance bei (schon wieder) den MTV Awards reagierte: „Blackout“.

Auch das neue Album „Circus“ schlachtet selbstreflexiv den Medienzirkus aus, den es gleichzeitig antreibt. Im Video zu „Womanizer“ ist Spears gleich zu Beginn nackt und schweißbedeckt als Objekt der Begierde auf einem Quader drapiert. Der Song, produziert vom Produzententeam The Outsyders aus Atlanta, schlägt in die Kerbe der minimalistischen Clubsounds des Vorgängeralbums. Spears zeigt sich als Femme Fatale des Großraumbüros und als SM-Politesse – Rollen, die längst andere vorgemacht haben.

Dem Erfolg dieser Vorstadt-Madonna tut das keinen Abbruch. Was sollte ihr noch etwas anhaben? Sie hat in medialem Drachenblut gebadet. Sie ist der Phönix des Pop. Sie wird immer wiederkommen.

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