Kassel wird schärfer

Adam Szymcyzk kuratiert die nächste documenta

Die Welt, 23. November 2013

Adam Szymczyk, der gestern in Kassel zum Kurator der nächsten documenta ernannt wurde, wird einerseits nachgesagt, er sähe aus wie ein Rockstar ("The Times"), andererseits, er meide das Spektakel und pflege eine Vorliebe für leisere, intellektuelle Positionen ("Monopol"). Das zeigt mal wieder, dass man als Kurator einer Riesenausstellung heute, egal wie unscheinbar man aussieht und wie zurückhaltend man spricht, in den Augen der Medien automatisch Rockstar ist. Und die alle fünf Jahre statt findende documenta ist nun mal das unangefochtene Woodstock der Kunst. Szymczyks Vorgängerin Carolyn Christov-Bakargiev hatte die Celebrity-Ökonomie mit zahllosen Fotos inklusive Hund aggressiv bedient. Wenn jemand dieser Ökonomie, in der kaum noch jemand über Kunst, aber alle über Besucherzahlen sprechen, eine Sprache entgegen setzen kann, ist das vielleicht der 1970 geborene Pole Adam Szymczyk.

Spröde sei die 5. Berlin Biennale gewesen, die Szymczyk 2008 mit Elena Filipovic unter dem großartigen Titel "When Things Cast No Shadow" kuratierte: Das sagten viele, weil so viel Konzeptkunst gezeigt wurde, und Konzeptkunst, das ist meist gleich bedeutend mit unattraktiv und schwer verständlich. Tatsächlich brachte die Schau, die erstmals die Neue Nationalgalerie und eine Freifläche in Kreuzberg einbezog, mit ihren Installationen, Schwarz-Weiß-Fotografien und Acht-Millimeter-Projektoren einen der Hauptstränge der Kunst der vergangenen 15 Jahre pointiert zur Ansicht: Die Befragung des Erbes der Moderne mit ihren Klassifizierungen und Hierarchisierungen des Wissens. Dieser Blick des Museums auf sich selbst fand im vergangenen Sommer auf der Biennale von Venedig zur Apotheose: Die von Massimilano Gioni kuratierte Hauptausstellung "Der enzyklopädische Palast" präsentierte das Museum nicht mehr als Problem, sondern als alten Freund, als eine Art der Welterschließung unter vielen anderen, den gleitenden Oberflächen des Internets etwa oder den ausufernden farbenfrohen Mandalas von Erleuchteten, Erimitinnen und Autisten, sogenannter "Outsider-Künstler".

Schon Bakargievs documenta hatte versucht, einer polyzentrischen Welt, in der der "Westen" mit seiner rationalistischen Selbstbezogenheit glücklicherweise langsam das Deutungsmonopol verliert, Rechnung zu tragen – mit einem kontroversen Ableger in Afghanistan, aber vor allem viel Kunst, die dem Animismus frönte und eine offenere Gemeinschaft der Menschen, Tiere und Dinge vorschlug. Von Szymczyk darf man erwarten, dass er dem Spiritistischen und Mystischen, das darin lag, intellektuelle Schärfe und Kriterien entgegen stellt, und dabei ist sicher hilfreich, dass er selbst abseits der Zentren aufwuchs. 1997 gründete er die Warschauer Foksal Gallery Foundation mit. Seit 2003 ist er Direktor und Chefkurator der Kunsthalle Basel und organisierte dort früh Ausstellungen von Pawel Althamer oder Danh Vo, aber auch von Douglas Gordon und Tomma Abts, denen man nun echt keine übermäßige Konzeptlastigkeit vorwerfen kann. Einstimmig folgte gestern der Aufsichtsrat der documenta dem Vorschlag der international besetzten Findungskommission. Dreieinhalb Jahre hat Szymczyk Zeit, sein Konzept auszuarbeiten, bis seine documenta 14 am 10. Juni 2017 eröffnet. Wie sie aussehen wird? Keine Ahnung.

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für kunstkritik 2012

Will-Grohmann-Preis
der Akademie der Künste 2018