Er müsste hier mal eine Leitung legen

Bauarbeiter und Analytiker in Personalunion: Der Künstler Adrian Lohmüller durchbohrt Wände, baggert Straßen auf und gräbt Weltbilder um

Die Welt, 23. August 2011

Das Berliner Haus der Kulturen der Welt ist dieser Tage in einen gigantischen Abenteuerspielplatz verwandelt. In einer Mischung aus Messe und Kinderhort führt ein Kojenlabyrinth zu Pressspanduft in Träume nachhaltigen Wirtschaftens und eines "Guten Lebens". Das Festival "Über Lebenskunst" sucht nach gesünderen Formen des Zusammenlebens. Dabei steht zwischen Torfbehandlung und "Sustainable Sushi" am Ende doch meist wieder die Flucht ins je eigene Baumhaus konsumistischer Privatutopien.

Eine künstlerische Arbeit ragt heraus: Der Berliner Installationskünstler Adrian Lohmüller hat einen Aluminiumtrichter in das geschwungene Austerndach geschmiegt. Regenwasser fließt über eine Aufbereitungsanlage und Sammelbehälter in eine öffentliche Duschkabine, in der sich zwei Gäste einander gegenüber stehend unter freiem Himmel erfrischen können, unter halbeinsichtiger Anteilnahme der Besucher auf den umliegenden Terrassen. Statt dogmatisch zu fabulieren, reflektiert Lohmüllers Dusche in komödiantisch-sanitärer Mimikry die verschwenderisch schöne Architektur der Kongresshalle und lädt ein, die Grenzen zwischen Öffentlichem und Privatem, zwischen Reinigung und Abfluss, praktisch neu zu definieren.

Die Entschlossenheit, mit der Adrian Lohmüller Wände durchbohrt, Straßen aufbaggert und reale wie symbolische Leitungen verlegt, ist beispielhaft. Im Geiste Gordon Matta-Clarks behandelt der 34jährige, der bei der letzten Berlin Biennale seinen ersten großen Auftritt hatte, den Kunstraum als Teil größerer Kreisläufe. Matta-Clark nannte seine Hauszerschneidungen "Anarchitektur". Adrian Lohmüller hat für seine Arbeit auch ein neues Wort geschöpft: "Psychoarchitekturen".

Als Bauarbeiter und Analytiker in Personalunion gräbt Lohmüller tief in Selbst-, Berufs- und Weltbildern, setzt an täglich benutzten Dingen an und legt psychische Aufladungen frei, in Reflexen wie Scham und Ekel, die den großen Kreislauf von Waren, Menschen, Schmutz und Liebe regulieren. Im Video "Trauma", zu sehen in seiner aktuellen Einzelausstellung in Nordhorn, schrubbt der Künstler im Blaumann akribisch einen Wiener Kanaldeckel. Einmal richtet sich die Kamera durch das Kanalgitter in die Tiefe wie in einer Lacanschen Spiegelszene. Die Kanalisation: das soziale Unbewusste.

Seife, Schmutzwasser, Urin - Lohmüller teilt sich manches Arbeitsmittel mit der Aktionskunst der Sechzigerjahre. Doch während diese gern frontal angriff, hintergeht Adrian Lohmüller einfache Gegenüberstellungen und nähert sich diskret von der Seite. Frei nach Marx: Künstler haben das Ekelempfinden nur verschiedentlich schockiert, es kommt aber darauf an, es zu verändern.

"Ich möchte Transparenz in Felder bringen, die sonst abgeschlossen sind", beschreibt Lohmüller seinen Antrieb, "und Interesse dafür wecken, wie der Mensch funktioniert im Verhältnis zu anderen." Was Lohmüller dabei von anderen konzeptuellen Leitungsbastlern abhebt, ist sein globaler Blick. Mehrere Wochen lebte er etwa mit den Bewohnern des pazifischen Majuro-Atolls, die in den Sechzigern von der US-Armee für Atomtests von den Rongelap-Inseln umgesiedelt wurden und bis heute nicht in ihre Heimat zurück kehren können, weil die USA keine frische Erde aufschütten.

In der Berliner Temporären Kunsthalle grub Lohmüller dann zwei Meter tief in die märkische Erde, packte sie in Briefumschläge und adressierte sie an "Rongelap"; eine wichtige Abrundung der gefeierten Ausstellung "Fischgrätenmelkstand", kuratiert von Aktionskünstler John Bock. Lohmüller hat lange als dessen Assistent gearbeitet, was er inzwischen nicht mehr nötig hat. Das Potenzial, das in der Arbeit des gebürtigen Schwarzwälders mit dem breiten Grinsen und dem Scheinwerferblick steckt, spricht sich herum.

Mit Sommer & Kohl hat Lohmüller dieses Jahr eine kommerzielle Galerie gefunden, die seine konzeptuellen Zeichnungen auf der Art Basel zeigte. Im Landschaftspark Kartzitz auf Rügen ist gerade eine Betonskulptur zu sehen. Im September ist er auf der Biennale im brasilianischen Curitiba vertreten. Und in der Städtischen Galerie Nordhorn an der holländischen Grenze, selbst eine abgelegene Insel in der Ausstellungslandschaft, hat Adrian Lohmüller eine abstrakte Notation jener Kräfte installiert, die ihn umtreiben. Sie ist überraschend sauber, klar, ja, grafisch.

Wer hätte bei all den Rohr- und Schmutzarbeiten gedacht, dass Lohmüller auf den Minimalisten Fred Sandback steht, der Räumen mit seinen straff gespannten Fäden eine virtuelle Qualität verleiht, in feinen Kippspielen zwischen Zeichnung und Realität? Bei dem roten Seil, das Lohmüller waagrecht durch den weißen Raum gespannt hat, liegt der Zauber offen: Das Gewicht eines Bohrkerns hält es unter Spannung. Die Schnur misst den Raum aus und scheint ihn selbst zu halten. Filigrane Leitungen führen von einem Behälter an der Decke zu einem Gipshaufen und in ein Wasserglas mit einer Aufbissschiene: Ein Kurzschluss zwischen Baumarkt und Kieferchirurgie. Lohmüller lässt die wackligen Grenzen zwischen Körper und Material spüren und zeigt die blinden Flecken in unseren prekären Selbstkonstruktionen. "The false self-system" heißt die Installation wie auch die Ausstellung: "Das Scheinselbst-System".

In ihrem Zentrum, unter einer Ohrstöpsel-Sonde, liegt ein zum Bannkreis geschlossenes Aluminiumband, von dem drei Streben abgehen wie anschlussbereite Leitungen. In ihrer Mitte lehnen vier Spielkarten aneinander, die Rückseite nach außen gekehrt, ihr Inneres abgeklebt mit schwarzem Dichtungsschaumstoff - eine Blackbox ohne Inhalt. Die Hervorkehrung psychischer Aufladungen von Alltagsgegenständen in Assemblagen erfanden die Surrealisten in der Folge von Duchamp. Doch Lohmüller überwindet den surrealistischen Objektfetisch. Statt den Betrachter zu verzaubern, erinnert er ihn freundlich an dessen eigene Bedingungen.

"Ich gehe grundsätzlich vom Individuum aus", sagt Lohmüller. Seine Dusche im HKW ist vom wissenschaftlichen Konzept der "Resiliance" inspiriert, der Stabilisierung von Systemen durch Streuung von Risiken, etwa: Solarzellen auf jedem Dach statt Kernkraftwerken. Lohmüller kratzt an den hartnäckigen Resten des auf festen Ziel- und Stilvorstellungen beruhenden Denkens der Industriegesellschaft, das immer wieder das Gegebene kopiert.

Denn allzu oft arbeiten auch Künstler so wie der Ire Stephen Craig, der 1997 eingeladen war, die Räume der Galerie Nordhorn zu gestalten: Da er Mies van der Rohe mag, klemmte Craig zwei modernistische Pavillons in das dunkle Tonnengewölbe der Alten Weberei. Eine angestrengte Maßnahme, die das modernistische Ideal der Transparenz ad absurdum führt. Dagegen geht Lohmüller von dem aus, was da ist: Er verschloss Glastüren und Fensterleisten mit Rigipsplatten und ließ sie zum White Cube verputzen. Drei Stunden harrte er mit Bauhofmitarbeitern in der geschlossenen Kapsel aus, dann sägte er sich ins Freie, stemmte eine Wand mit Keilen ein Stück auf. Der Ausschnitt steht roh neben der Tür, das Werkzeug hängt im Raum, und die restlichen Rigipsplatten schweben luftig in einer trapezförmigen Aluminiumkonstruktion, als dürfte der Gast die Arbeit weiter führen. Von außen zeigt der Raum seine rohe Rückseite, und noch einen Sitzschemel draußen im Flur hat Lohmüller so verrückt, dass man ihn als Stufe nutzen könnte, würde man von innen den großen runden Gullideckel öffnen, der wie ein Bullauge in der Wand hängt, und sich durch das Loch nach draußen ziehen.

Der Abfluss als Fluchtweg: Adrian Lohmüllers Kunst zeigt den Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Selbstbezogenheit.

adkv - art cologne preis
für kunstkritik 2012

Will-Grohmann-Preis
der Akademie der Künste 2018