Das Zeigen des Zeigens

Über die Fotografien und Installationen Roman Schramms

frieze d/e, 04. September 2013

Die Erkenntnis, dass Marken und Produkte gestaltbare Persönlichkeiten haben, geht auf Ernest Dichter zurück, den Gründer der Motivforschung. Mit seiner Ansicht, die Manipulation menschlichen Verhaltens sei notwendig für den Fortschritt, war Dichter, der von 1946 bis zu seinem Tod 1991 als Berater von Unternehmen und Regierungen tätig war, für Zeitgenossen eine Gruselfigur. Heute wirken seine Thesen so nostalgisch wie der deutsche Titel seines Buches Strategie im Reich der Wünsche von 1961, nach dem Roman Schramm eines seiner Videos benannte (2009).

Darin führen Akteure vor schwarzer Kulisse absurde Interaktionen mit Lebensmitteln und anderen Objekten aus, mal lustvoll, mal trotzig den Betrachter adressierend, als sei er es, der für das Ganze verantwortlich ist. Hatten die Akteure von Andy Warhols Screen Tests (1964–6) Mühe, dem zudringlichen Blick der Kamera standzu­halten, sind hier die Zuschauer auf eine ungemütliche Position gerückt, wie auf einer Party, deren Regeln man nicht kennt. Ähnlich arbeiten auch Schramms Fotografien an der Verunsicherung der Grenzen zwischen Bild und Körper. Kommerziellen Strategien der Fetischisierung und Verführung begegnet Schramm nicht mit Dekonstruktion, sondern eignet sie sich in Überaffirmation an, so dass sie oft ins Absurde kippen. Auf der Fotografie Auster (2012) schwebt eine Austernhälfte in halluzinativer Schärfe hochkant in opakem Schwarz. Der Hyperrealismus einer Werbefotografie lässt ihre Organe und die dazwischen perlenden Luftblasen sich unter Umgehung des Verstandes an Zunge und Speicheldrüsen wenden, während die sachliche Klarheit klassischer Stillleben den Betrachter zugleich auf Abstand hält.

Frühere Serien wie Changing Objects (2006) zeugen von einer Vorliebe für konstruktivistische Experimente und die semantischen Sabotagen von Dadaismus und Surrealismus. Seine Beschäftigung mit Porträtfotografie brachte Schramm dazu, Personen gegen Industrieprodukte wie Sportschuhe (etwa die Serie Easytone, 2011) oder Locher (Leitz 5180, 2011) zu tauschen. Kann man dieser Konfrontation von Darstellungsroutinen mit ungewohnten Inhalten teils noch eine zugeknöpfte Komik vorwerfen, so treibt Schramm sein Spiel inzwischen weit über die Grenzen fotogra­fischer Referenzialität hinaus. In Stimme lila (2013) und Stimme blau (2013) lässt er nur die Hohlkehlen übrig, die sonst im Studio als Hintergrund dienen, und verzerrt sie per Photoshop zu einem schlierigen abstrakten Digitalgewabbel. Die suggestiven Titel provozieren ein synästhetisches Suchspiel: Kann ein Bild eine Stimme haben? Kann eine Stimme lila sein? Das Bild selbst verweigert bereits die Idee einer Auflösung, als wollte es sagen: Es war ein Witz. Hör auf zu starren. Es geht nicht um mich, sondern um den Raum, den wir beide teilen.

Diese ironische Problematisierung der Abbildfunktion betreibt Schramm auf mehreren Ebenen. So findet die handwerk­liche Perfektion von Arbeiten wie Auster ihr Gegenstück in amateurhaft auftretenden Basteleien wie Salzteig-Figürchen, die, etwa in Ohne Titel (Frankreich) (2013), unvermittelt neben bunt bestrumpften Frauenbeinen auftauchen: neckische, ambigue Dingwesen wie Kafkas Odradek, die in ihrer selbst­bewussten Unzulänglichkeit die sie umgebende Ordnung infrage stellen. In Beinchen (2013) steht so eine fliederblaue Salzteigprothese als Solitär in einer monochrom orangenen Fläche. Dabei tut sich in der rechten unteren Ecke eine zweite Szene auf, die keine Bezüge zur ersten aufweist: Die Fotografie einer auf dem Galerieboden rastenden Ausstellungsbesucherin ist an den vier Kanten kopiert und perspektivisch zu einer missglückten Würfelform verzerrt, unterlegt mit einem billigen Photoshop-Schlagschatten.

Solche neueren Montagen, für die Schramm auch mit der Konstruktionssoftware Cinema 4D experimentiert, erreichen eine weit führende Eigengesetzlichkeit. Im Nebeneinander disparater Operationen lösen sich die Elemente von Repräsenta­tionsaufgaben und verselbständigen sich als leerlaufende, eigentümlich animierte Zeichen. Schramm dreht die Kombinier­spiele des Surrealismus weiter, indem er sich nicht auf die psychischen Effekte von Objektkombinationen verlässt, sondern gerade auf deren Abgegriffenheit und Austauschbarkeit verweist. Übrig bleibt ein Theater, das ostentativ das eigene Zeigen zeigt. Besonders deutlich ist das in In Search of the Obvious (2013), das in der Mitte verschachtelter fransiger Flächen zwei in einer virtuellen Bühnensituation schwebende Bildflächen enthält. In der einen steckt ein Ei. Das einzige Element mit indexikalischem Anspruch ist das Foto eines Fliegenpilzes, das in eine Ecke montiert ist – eine Amateuraufnahme, die Schramm bei seiner Mutter fand.

Die Theatralität von Schramms Motiven setzt sich in der Raumgestaltung fort. Für seine Einzelausstellung Arbeit und Leben, Roman Schramm, Guten Tag (2013) im engen mittelalterlichen Wachturm des Kunst­vereins Hildesheim, dessen grob verputzte Wände leicht nach Heimatmuseum aussehen können, baute Schramm vergangenen Mai freistehende Wandsysteme ein, die sich in wechselnden Winkeln gabelten und in fröh­lichem Himmelblau und Schwefelgelb leuchteten. Nur an ihnen hingen die Fotos, die damit den Turm selbst auf die Zuschauer­position verwiesen. In einer Ecke aber lag eine Jeans, als hätte der Künstler sie vergessen. Die spontan geborene Skulptur Jeans (2013) ist in ihrer flapsigen Nonchalance ein großartiges Stück Anti-Kunst, das einen weiteren medialen wie semiotischen Bruch einführte und damit die Ausstellung davor bewahrte, als abgeschlossene Stellungnahme mit sich selbst zur Deckung zu kommen. Eher hatten die zwei übereinander liegenden Ebenen die Spannung einer mal eben unterbrochenen Schachpartie, die unbekümmert auf Fortsetzung wartet.

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für kunstkritik 2012

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