Alle sind Piraten

Vom Ende der Musik: Der Kongress "Audio Poverty" im Haus der Kulturen

Zeit Online, 24. April 2009
Der Tagesspiegel, 11. Februar 2009

Die Luft ist raus. Fünf Musiker verharren im Stillstand. Nur der Schlagzeuger haut einhändig den Takt zur Maultrommel, die aus Computerlautsprechern schnarrt, minutenlang. Zuletzt ein paar Katzenmusik-Legati, und fertig. Øyvind Torvunds bizarre Performance mit dem Ensemble Zwischentöne im Haus der Kulturen der Welt zelebrierte die Verweigerung von Virtuosität. Das klang wie die letzten Signale, die eine um sich selbst kreisende Kunstmusik nach draußen sendet, der schon lange niemand mehr zuhört.

Hätte der Kongress über Musik und Armut, der am vergangenen Wochenende unter dem Namen „Audio Poverty“ im Haus der Kulturen tagte, inhaltlich nichts erreicht, wäre er ästhetisch erst recht gelungen – als Fest der Vergeblichkeit, ja: der Agonie.

Eine lange Reihe Ballons, aus denen die Luft entwich, zog sich in einer Installation von Serge Baghdassarian durch das leere Foyer. Auf den Schwarz-Weiß-Plakaten prangte der New Yorker Straßenmusiker Moondog wie ein alter Wikingerhäuptling, der sich majestätisch zum Sterben legt. Ein Schutzheiliger der von der Gesellschaft im Stich gelassenen Musikschaffenden, die auf Getränkekisten kauerten, das Kinn in die Hand stützten und sich gegenseitig die Hiobsbotschaften eines untergehenden Gewerbes erzählten.

Hier nur ein paar von zahlreichen Beispielen: Im Internet ist kein Geld zu verdienen. 85 Prozent der online angebotenen Musik wurde 2007 kein einziges Mal heruntergeladen (Labelbetreiber Kodwo Eshun und Steve Goodman). Pop als politische Kraft hat sich selbst ausgelöscht (Poptheoretiker Diedrich Diederichsen). Der Musikbetrieb kennt keine Solidarität mehr (Musikerin Gustav). Und die Musikkritik? Hat nur noch Ankündigungsfunktion (Musikwissenschaftlerin Helga de la Motte-Haber). Schon im Vorfeld forderten die Organisatoren Ekkehard Ehlers und Björn Gottstein: „Wir brauchen eine neue Arte Povera.“

Der klangvolle Name der italienischen Künstlergruppe, die in den sechziger Jahren die Arbeit mit billigem Material zur Kunst erklärte, diente als historischer Bezugspunkt für die Entwürfe einer düsteren Zukunft. Mangel als ästhetisches Dispositiv. Klar, dass derzeit alle dorthin blicken, wo echte Armut herrscht, in die Slums von Rio, Mumbai und Lagos. Baile Funk, Shanti House und Ghettotech sind vitale Produkte eines aus der Not geborenen Improvisierens mit Piratenmethoden. Da blickt die westliche Welt in den Spiegel: Die anarchistischen Selbstermächtigungsstrategien der Jugendkulturen, schreibt Musikjournalist Matt Mason, hätten die Wirtschaft erobert. Steve Goodman brachte es auf den Punkt: „Jetzt sind wir alle happy pirates.“

Wenn im Haifischbecken der Internet-Ökonomie auf alte Rechte kein Verlass ist, ist es umso tragischer, dass die Künstler sich völlig überfordert zeigen. In Schockstarre stehen sie am Beckenrand und sehen zu, wie ihnen die Musik gigabyteweise entrissen wird und die Konzerne längst neue Claims abstecken, um weiter mitzuverdienen. Wo doch das Tolle am Netz ist, dass man theoretisch auf Zwischenhändler verzichten könnte. Dass Dieter Gorny das Abschalten von Internetzugängen für illegale Downloader propagierte, sollte alle Alarmglocken schrillen lassen. Statt vom Staat nur Subventionen zu fordern, sollte er lieber als Gestalter fairer Verteilungssysteme in die Pflicht genommen werden.

Nach drei Berliner Kongressen („Dancing with myself“ im Hebbel am Ufer, „CTM Structures“ im Kunstraum Kreuzberg, nun „Audio Poverty“) ist keine künstlergerechte Lösung in Sicht, wie in Zukunft Geld und Musik verteilt werden könnten. Im Gegenteil: Die Skepsis scheint größer als zuvor. Der Kongress im Haus der Kulturen der Welt (der im Blog audiopoverty.de weitergeführt wird) setzte der Diskussion einen melancholischen Abschluss. Das letzte Wort hatte die müde Sängerin von der Berliner Band Britta, Christiane Rösinger: „Schön, dass wir drüber geredet haben.“ Im Fatalismus, scheint es, liegt das letzte große ästhetische Versprechen.

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